Gert Geißler
zistische[r] Beeinflussung und des Nachwirkens der „Enttäuschung über den Zusammenbruch ihres Glaubens”, sei eine „direkt positive Wendung der politischen Einstellung der Schüler” vorerst nicht zu erwarten. So zeige sich eine „abwartende Haltung”, aber auch, „dass diese Jahrgänge sich einer vieldeutigen Phraseologie bedienen, um nicht Farbe bekennen zu müssen”. Es seien Strömungen bemerkbar, „die zwar den Faschismus unbedingt ablehnen, aber eine recht einseitige individualistisch-liberale Haltung befürworten”. Aus dem „Erlebnis getäuschter Vertrauens- und Opferbereitschaft heraus” würden „neue Bindung an Partei und FDJ” abgelehnt. Vor allem die älteren Schüler seien „vorsichtig und zurückhaltend” gegenüber dem Geschehen der Gegenwart. Allerdings wurde im Herbst 1946 – offenbar als Reaktion auf die allgemeine politische Entwicklung in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und Berlin – ein „gewisses Anwachsen oppositioneller Strömungen unter der Lehrer- und Schülerschaft der Oberschulen” bemerkt. Solche Feststellungen wurden vor allem im Land Thüringen gemacht. Vor diesem Hintergrund beschloss im November 1946 eine Konferenz der Schulräte in Weimar erstmals eine politische Überprüfung aller Oberschulen. Kinder aktiver oder verhafteter Parteigenossen (Pg) sollten entfernt, ehemalige Offiziere und Feldwebel unter den kriegsbedingt häufig überalterten Schülern nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Landesamtes an der Oberschule belassen werden. Zudem war vorgesehen, die Oberschulkollegien, denen in Thüringen noch fast zur Hälfte ehemalige NSDAP Mitglieder angehörten, einer „neue[n] Überprüfung und Siebung” zu unterziehen. Zu ähnlichen Beanstandungen und Entlassungen kam es auch in Neulehrerkursen. Schon Ausgebildete, insbesondere Geschichtslehrer, erhielten auf Veranlassung der Besatzungsmacht zunächst keine Anstellung oder wurden entlassen. Ein Präsidialentwurf der in Berlin ansässigen Deutschen Verwaltung für Volksbildung (DVV) sah wenig später vor, das in Thüringen konzipierte und teils schon praktizierte Verfahren im Wesentlichen auf die übrigen Länder zu übertragen. In der Mark Brandenburg war bereits angeordnet worden, alle Oberschüler vom 19. Lebensjahr an zu entfernen, die Offiziere, Unteroffiziere, Mitglieder der NSDAP und Söhne von „Parteigenossen” gewesen waren. Gegen die vorgesehenen, teils schon praktizierten Verfahrensweisen wandte sich der Leiter der Schulabteilung der Zentralbehörde, Ernst Hadermann6. Er vertrat die Auffassung, es solle zwar „die übertriebene Nachsicht der Weimarer Republik, die die Bildung reaktionärer Blocks unter der Schülerschaft der höheren Schule und unter der Studentenschaft duldete oder sogar förderte”, vermieden werden, aber der „pädagogische Gesichtspunkt” Vorrang haben. Zudem gäbe es „keine gesetzliche Grundlage” für die Entfernung von Oberschülern. Eine Verweisung sei nur dann zu rechtfertigen, „wenn erwiesen ist, daß sie sich als Mitglieder illegaler faschistischer, militaristischer oder sonstiger gegen die Besatzungsmacht oder gegen die deutsche Demokratie feindseliger Geheimorganisationen betätigt haben.” Ein Ausschluss lediglich deshalb, weil es sich um Kinder aktiver oder verhafteter Pg’s oder enteigneter Großgrundbesitzer handele, sei „politisch nicht gerechtfertigt”, denn eine solche Maßnahme erinnere „bedenklich an die nazistische Sippenhaft” und sei geeignet, junge, entwicklungsfähige Menschen zwangsläufig der Reaktion in die Arme zu treiben.” Mit dem in Aussicht genommenen Verfahren könne „nicht nur eine Schädigung der Oberschulen, sondern unserer Schulreform überhaupt, ja sogar letzten Endes der SED und der Kulturpolitik in der östlichen Besatzungszone” entstehen. Es ergebe sich die „Gefahr des Gesinnungsdrucks und die weitere Gefahr, daß wir gerade aufrechte Männer, anstatt sie für die Demokratie zu gewinnen oder sie ihr zu erhalten, in die Opposition treiben”. Jedenfalls würden lediglich nach Herkunft oder nach politischer Gesinnung vorgenommene Überprüfungen, Sichtungen und Entlassungen „jedes Vertrauensverhältnis zwischen Schülern und Lehrern” zerstören und anstelle einer Erziehung zu „charaktervollen, freien und selbständigen Persönlichkeiten” Gesinnungsheuchelei befördern. Zudem würden die betroffenen Schüler wohl auch „durch den Besuch von Schulen und Hochschulen der westlichen Zonen den Weg zur Entfaltung ihrer geistigen Kräfte finden” und gerade wegen der Verweisung von der Oberschule „zu Feinden” werden8. Mit diesen Bedenken, vor allem aber mit Rücksicht auf die bevorstehende Moskauer Außenminister-Konferenz 1947, wurde der bereits vorliegende „Entwurf zur Säuberung der Lehrer- und Schülerschaft an den Oberschulen” im März 1946 auf der Konferenz der Volksbildungsminister der fünf Länder9 zurückgenommen. Gleichwohl waren die Meinungen der Ländervertreter, wie mit politisch suspekten Oberschülern umzugehen sei, geteilt. Erwogen wurde die Einweisung in Heime, aber auch ein indirektes Verfahren, wonach die Oberschüler bei gleichzeitiger stärkerer Überprüfung der Oberschullehrer allgemein pädagogisch und politisch zu aktivieren seien. Der Leiter der Schulabteilung der Sowjetischen Militäradministration verwies auf die Kontrollratsdirektive Nr. 32, die ausdrücklich vom Ausschluss aller Personen spreche, gleich ob Lehrer oder Schüler, die „irgendwie gegen die Besatzungsmacht auftreten”. Zwar seien genügend Fälle eines solchen Auftretens bekannt, Ausschlüsse von Oberschülern jedoch „fast gar nicht” erfolgt. Schließlich einigte sich die Konferenz darauf, dass Oberschüler, die älter als 21 Jahre waren, keinen Zugang zur Oberschule haben dürften und dass in „allen Fällen organisierter oder provokatorischer politischer Obstruktion” mit „energischen Strafmaßnahmen” durchzugreifen sei. Ohnehin hatten sowjetische Militärtribunale bereits in mehreren Fällen Anklage gegen Jugendliche erhoben. Auch nach der Konferenz fielen Kriterien und Praxis von Schulüberprüfungen in den Ländern sehr verschieden aus. Vor Ort waren die jeweilige Sichtweise des Militärkommandanten und teils die des Schulrates maßgebend. Nahezu übereinstimmend berichteten die Länderminister vom rigorosen Agieren der Offiziere nicht der Schul- sondern der Politabteilungen der Militärverwaltungen, von der Verständnislosigkeit der örtlichen Kommandanten und der „kleinen Schuloffiziere”. Man mache sich „verhaßt”.
2 DIE OBERSCHULEN IM JAHR DER STAATSGRÜNDUNG
Zu einer ersten umfangreichen Überprüfung der Oberschulen kam es in deutlich veränderten politischen Kontexten im Februar und März 1949. Nach den in der DVV zusammengefassten Befunden der Länderschulverwaltungen über insgesamt etwa 40 Prozent der Oberschulen dominierte an den Einrichtungen, wenn auch nicht ausschließlich, eine Schülerschaft, für die der Besuch einer höheren Schule in der Familientradition lag. Auch wenn inzwischen ein Drittel aller Schüler der sozialen Herkunft nach zu den „Arbeiter- und Bauernfamilien” gerechnet wurde, blieb die beabsichtigte Destabilisierung traditioneller Oberschulmilieus nur relativ. Kaum politische, soziale und pädagogische Einbrüche waren an jenen Schulen zu erreichen gewesen, in deren Einzugsgebieten sich rührige Kirchengemeinden befanden, frühere soziale Oberschichten noch gewissen Einfluss besaßen und vor allem der Verbund der Mittelschichten intakt geblieben war. Das galt für Schulen im Raum Berlin und in größeren Städten wie Leipzig, Dresden, Erfurt, Jena und Schwerin, aber auch für Mittelstädte wie Altenburg, Bautzen, Blankenburg, Eisenach, Fürstenwalde, Görlitz, Meinigen, Merseburg, Neubrandenburg, Parchim, Plauen, Niesky, Wolgast und Templin. Wegen „reaktionärer Tendenzen in der Schülerschaft” und „Aufkommen der Jungen Gemeinde als Gegenorganisation zur FDJ” gerieten vor allem die Oberschulen in Görlitz, Dresden und Leipzig ins Blickfeld. Vor allem an Oberschulen mit weitgehend akademisch ausgebildeter Lehrerschaft trafen neu zugewiesene Lehrer in den Kollegien und bei der Schülerschaft überwiegend auf Ablehnung. Im politisch brisanten Fach Geschichte, aber auch im Deutschunterricht konnte nur eine Minderheit der neuen Lehrer im Sinne der offiziellen Lehrziele pädagogisch-fachlich, auch durch eine betont jugendverbundene Haltung, überzeugen. Der größere Teil der Lehrer hingegen wirkte unaufdringlich eher dahin, tiefsitzende Skepsis gegenüber der neuen politischen Ordnung und den aufkommenden, ungewohnten und zumeist recht vulgär verfassten materialistischen Betrachtungsweisen zu bekräftigen. Auf deutliche Ablehnung traf besonders die Glorifizierung Joseph Stalins, als die Oberschüler im Dezember 1949 durch die FDJ landesweit genötigt wurden, zu dessen 70. Geburtstag eine vorgegebene Grußbotschaft zu unterzeichnen. Mitunter verweigerten Schüler die Unterschriftsleistung, häufiger aber wurde gefordert, Änderungen am Text vorzunehmen. In der Lessing-Oberschule (Jungen) Görlitz steigerte sich die Diskussion dergestalt, dass es auf Mehrheitsbeschluss der Schüler und in Gegenwart zweier Lehrkräfte zur Abnahme des von der FDJ im Klassenzimmer angebrachten Stalinbildnisses kam. Daraufhin wurden im Januar 1950 sieben Schüler wegen „staatsfeindlicher” Äußerungen von der Schule verwiesen und ein Studienrat fristlos entlassen. An der Oberschule Wernigerode kam die Stalin-Feier nicht zustande, da von Schülern die Schlösser aller wichtigen Türen mit Gips verfüllt worden waren. Zu den aus politischer Sicht besonders beanstandeten Oberschulen gehörten neben der in Görlitz auch die Oberschulen Dresden-Nord, Salzwedel und Wittenberg, gleichermaßen Oberschulen in Leipzig. Stalin-Bilder und Proklamationen wurden auch an der Oberschule Schöneiche bei Berlin entfernt. Die beteiligten Schüler wurden in diesem Fall nicht weiter belangt, stattdessen aber die Klassenlehrer für die „schonende Behandlung der Bilder” verantwortlich gemacht.
3 ÜBERPRÜFUNG ALLER OBERSCHULEN 1950
Etwa seit Beginn des Jahres 1950 traf das nun zuständige „Ministerium für Volksbildung” der DDR Vorbereitungen, „eine sehr scharfe Revision besonders der Oberschulen” durchzuführen, um offen „feindliche Elemente unter der Lehrerschaft und unter den Schülern aus den Schulen zu entfernen”. Im Mai desselben Jahres führten dann Kommissionen der noch bis 1952 bestehenden Landesregierungen eine Überprüfung nunmehr aller 388 Oberschulen der DDR durch. Die Kommissionen wurden im Regelfall von einem kreisfremden Schulrat geleitet. Ihnen gehörte jeweils der Kreisschulrat, der Schuldirektor, nicht immer die Kreisvorsitzenden der FDJ, der Lehrergewerkschaft, der „Freunde der neuen Schule”, des „Kulturbundes”, der „Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft”, des „Demokratischen Frauenbundes”, der „Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe” und der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes” an, zuweilen auch die schul- und kulturverantwortlichen Funktionäre der „Parteien der Nationalen Front”. Die Überprüfung war auf zwei bis drei Tage angesetzt, fiel in einer Reihe von Schulen allerdings kürzer aus. Ermittelt wurden die wichtigsten statistischen Angaben zur Schule, zudem wurde die Einhaltung der Lehrpläne und der Stundentafel eingehend untersucht. Die Kontrollen richteten sich auf Inhalt und Methoden des Unterrichts, den Leistungsstand der Schüler, die verwendeten Lehrbücher und Lehrmittel, das pädagogische, fachliche und politische Profil des Schulleiters und der Lehrer sowie auf die Rolle der FDJ und die Präsenz und Förderung von Arbeiter- und Bauernkindern. Bei ihren Untersuchungen stützte sich die Kommission neben der Hospitation vor allem auf Schulakten, Stoff- und Arbeitspläne, Schülerarbeiten, Unterrichtspräparationen der Lehrer, schließlich auch auf die Kontrollbefunde zu den Lehrmitteln und zur Bibliothek. Es erfolgten Unterrichtsbesuche bei den Lehrern, Aussprachen mit der FDJ-Gruppe und Befragungen von Schülern. Verschiedentlich fand eine anschließende Auswertung im Kollegium statt. Die Berichte der Kommissionen enthielten teils eingehende politische und fachliche Bewertungen der Lehrkräfte und gegebenenfalls Vorschläge für Entlassungen und Versetzungen. Nach Umfang und Intensität blieb diese schulpolitische Bestandsaufnahme einmalig, da später verwendete Kontrollverfahren, vor allem der dreistufige Instanzenzug der Schulinspektion, einen relativ kontinuierlichen Informationsfluss sicherten. Etwa an jeder fünften Schule wurden in fachlicher, politischer und pädagogischer Hinsicht „untragbare” Verhältnisse festgestellt. Rund 60 Prozent erschienen „besserungsbedürftig”. Es verblieb ein Sechstel, die bei dem ein oder anderen kritischen Hinweis als „gut” bezeichnet werden konnten. Solche im Sinne staatlicher Schulpolitik „gute” oder sogar beispielgebende Oberschulen fanden sich vornehmlich in ländlichen Regionen. Da das ländliche Oberschulwesen, das in den verschiedenen Kreisstädten aus vormaligen Mittelschulen hervorgegangen oder gänzlich neu eingerichtet worden war, eine „bessere soziale Zusammensetzung” als das der größeren Städte zeigte, war es seit 1949 gezielt gefördert worden. Gemeinhin lag der Anteil der Arbeiter- und Bauernkinder an den kleinen Oberschulen der Landkreise bei etwa 60, ansonsten nur bei etwa 25 Prozent. Die Schülerschaft solcher Oberschulen war weitgehend, häufig sogar nahezu vollständig in der FDJ organisiert, Schul- und FDJ-Leitungen arbeiteten zumeist gut zusammen. Es bestanden Patenschaften zu Betrieben und die Schulen waren in der Öffentlichkeit durch politische und kulturelle Aktionen präsent. Sie leisteten Erntehilfe, beteiligten sich bei Bauhilfsaktionen für Neubauern, halfen bei der Aufstellung der Einwohnerkartei und waren bei Schrott- und Altstoffsammlungen anzutreffen. Unterschriftenaktionen wie die zur „Ächtung der Atombombe” oder Sammelaktionen der „Volkssolidarität” verliefen komplikationslos. Nicht selten konnten sich diese Oberschulen, die wie die meisten der verfügbaren Gebäude unter Baumängeln und Raumnot litten, auf materielle und ideelle Hilfe der Gemeinde stützen. Gewöhnlich war der SED-Lehreranteil sehr hoch. Häufig gewann die Schulverwaltung später aus dem Personal dieser „guten” Oberschulen, an denen keine nennenswerte Schultradition bestand, neue Mitarbeiter. Rückhalt hatte die staatliche Schulpolitik auch in stärker handwerklich-industriell geprägten Klein- und Mittelstädten. An einigen Oberschulen dieser Städte hatte sich das neue Schulreglement bereits weitgehend durchsetzen können. An diesen Schulen, die als vormalige Realschulen oder Lehrerseminare zumeist erst in der Weimarer Zeit oder noch später die Berechtigung zur Reifeprüfung erhalten hatten, gab es keine alteingesessene Gymnasiallehrerschaft mit entsprechendem bildungsbürgerlichen Klientel. Zu solchen Schulen gehörten beispielsweise in Sachsen die ausschließlich mit Neulehrern besetzte Oberschule Altenberg mit einem Schulleiter, der später in der Volksbildungsadministration eine Spitzenposition einnahm. Weiterhin gehörten dazu die Oberschule Burgstädt, die Oberschulen in Döbeln, Oelsnitz und zu dieser Zeit auch die Oberschule Frankenberg. Mit der Oberschule in Wickersdorf, in Schönebeck (Elbe) und der sorbischen Oberschule Bautzen gehörten diese Schulen zu Beginn der 1950er Jahre zu den „Renommierobjekten” des DDR-Schulwesens. An den meisten dieser kleinen, ein- oder zweizügigen Schulen bemühten sich die Lehrkräfte um aufeinander abgestimmtes pädagogisches Handeln. Es wurde wechselseitig hospitiert, das Verhältnis zwischen Altund Neulehrern war weitgehend spannungsfrei. Politische Konfliktfälle wie an der Oberschule Wandlitz, wo eine Lehrerin behördlichen Druck auf sich gezogen hatte, weil sie mit ihrer Klasse während einer Exkursion einen Bäckereibetrieb in West-Berlin besucht hatte, gab es gelegentlich auch an diesen Schulen, blieben aber bei unterschiedlichem Ausgang der „Fälle” auf Einzelpersonen begrenzt. Nicht selten befanden sich Schulen, die bei früheren Kontrollen beanstandet worden waren, inzwischen aber einen neuen und jungen Schulleiter erhalten hatten, in einem für die Überprüfungskommission erfreulichen Umbruch. So im Fall der drei Oberschulen des Landkreises Meinigen, der Schulen in Schmalkalden, Schleusingen, Ilmenau und selbst in Torgau. Freilich bestätigten spätere Inspektionen in vielen Fällen keine positiven Befunde. Zum einen bot die politische Entwicklung in der DDR in rascher Folge an den Schulen neue Gründe für kritisch opponierendes oder mehr noch widerständiges Verhalten, zum anderen ging die schuladministrative Überprüfung als Momentaufnahme nicht wirklich in die Tiefe, und unter den Revisoren befanden sich auch solche, die eher abwägend und pädagogisch urteilten und später selbst in Konflikte gerieten. Ausgesprochen „negative” Kräfte und Erscheinungen wurden vor allem an großstädtischen Oberschulen und – mit Ausnahmen – besonders an traditionsreichen ehemaligen Gymnasien mit starker kirchlicher Bindung ausgemacht, aber auch an herkömmlichen Oberschulstandorten, vornehmlich solchen in früheren Residenz- und Beamtenstädten. Hier erbrachten die Überprüfungen verbreitet Belege für „fortschrittsfeindliche” oder zumindest distanzierte Haltungen sowohl in der Lehrer- als auch in der Schülerschaft. Zwar zeigten sich auch an diesen Schulen „aktive” oder zumindest „entwicklungsfähige” Lehrkräfte, doch verhielten sich die meisten Lehrer mehr oder weniger „passiv”. Sie waren zu „gesellschaftlicher Aktivität” nur schwer oder nicht zu bewegen – wie ein rüstiger Kollege am altsprachlich spezialisierten Philanthropinum Dessau, der „als privater Landwirt mehr denn als Lehrer” zu leisten schien. Nicht selten war der Typ des „indifferenten”, politisch undurchschaubaren, „schwer zu fassenden” Lehrers, während der „Reaktionär” nach den vorangegangenen Entlassungen inzwischen die Ausnahme blieb. Bei einigen Lehrern, besonders solchen mit kirchlichem Rückhalt, entstand der Eindruck, dass diese durch „politisch provokatives Verhalten” ihre fristlose Entlassung anstrebten, um damit bessere Voraussetzungen für einen beruflichen Neuanfang in Westdeutschland gewinnen zu können. Das fachliche Können der Lehrkräfte wurde von den Kommissionen im Allgemeinen anerkannt, wenn auch öfter der „Hang zu dozierender Lehrmethode” und eine „wenig lebens- und jugendnahe Einstellung” sowie „mangelhafte Unterrichtsvorbereitung” vermerkt wurden. Der Unterricht in Deutsch und Geschichte war aus politischer Sicht nach wie vor oft wenig zufriedenstellend. Diese Fächer hatten herkömmlich bei der Gesinnungsbildung der nachwachsenden Generation im Vordergrund gestanden. Diese Funktion kam ihnen auch weiterhin, nun politisch und weltanschaulich neu ausgerichtet, zu. So wurde an der Oberschule Köthen, die bei insgesamt 29 Lehrkräften vier Neulehrer aufwies, ein ehemals dem Stahlhelm-Verband zugehörender Studienrat auffällig, weil er im Geographieunterricht verkündete, dass „jeder Großstaat Kolonien” brauche. Auch Wendungen gegen die Besatzungsmacht waren festzustellen. Von einer Kollegin an der Oberschule Waldenburg (Sa.) hieß es, sie lehre im Geographieunterricht, dass in der Sowjetunion die Bauern ihr Vieh „größtenteils in der Wohnung” halten. Weit problematischer als solche Einzeläußerungen war für die Schulüberprüfungskommissionen jedoch der streng fachwissenschaftliche, wertungsfreie und verschiedene Sichtweisen ins Spiel bringende Unterricht, da dieser sich der Forderung nach politisch-propagandistisch aktualisierender Interpretation, nach „Gegenwartsnähe” und „Parteilichkeit” verweigerte. Solchen „objektivistischen” Unterricht erteilten mit Hingabe – vornehmlich in der Alten Geschichte – zumeist altgediente Gymnasiallehrer, aber mitunter auch junge, der SED angehörende Absolventen von Geschichtslehrerkursen. Weniger von Kritik bedroht waren die Lehrer der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer, teils auch der Fremdsprachen. Altlehrer dieser Fachrichtungen fanden häufiger zu einer gewissen politischen Anpassung oder Umstellung. Beispiele dafür gab es in nahezu jedem Kollegium. Wie auch in anderen Bereichen wirkten an den großen Schulen verschiedene Kräftebalancen. Kompromissverhalten gestattete unter Wahrung der Kollegialität den Fortgang der Schularbeit ohne drastische Behelligung durch die Schulverwaltung. Die Leitung der Schulen erfolgte durchweg in kollegialer Form, eine Kontrolle der pädagogischen Arbeit der Lehrkräfte fand seitens des Schulleiters kaum statt. Auch war die SED an vielen Einzelschulen von einer Beherrschung der Verhältnisse noch weit entfernt. So wirkte an der Oberschule Zeitz eine LDP-Betriebsgruppe mit 23 Mitgliedern, gegen die „die wenigen SED-Lehrkräfte noch nicht ankamen”. FDJ-Sekretär war ein als „oppositionell” geltender Jugendlicher. Einen Ausgleich schaffte vor allem der zur CDU gehörende, im 40. Dienstjahr stehende Schulleiter mit einer kleinen Gruppe von Lehrern. In beträchtlicher Anzahl erfolgten im Ergebnis der Schulrevisionen Entlassungen oder Versetzungen von Schulleitern und Oberschullehrern an Grundschulen. Bei einem Gesamtbestand von 410 Oberschulen kam es zur Auswechslung von 80 Oberschulleitern. In Sachsen-Anhalt waren schon in den Wochen vor der Überprüfung zwölf Oberschulleiter entlassen worden, darunter auch fünf Mitglieder der SED. Anhaltend wurden den Oberschulen neue „Lehrerkader” zugeführt. Zu Beginn des Jahres 1951 befanden sich unter den insgesamt 5235 Oberschullehrern der DDR bereits 2000 Neulehrer, davon 1230, die vor allem mit dem Schuljahr 1949/50 aus dem Grundschuldienst übernommen worden waren. Zum 1. September 1951 wurden zudem 1500 Abiturienten als „Oberschulhelfer” angestellt. Eine nicht minder spannungsvolle Situation wie bei den Lehrern zeigte sich im Ergebnis der Revisionen auch bei deren Schülern. Sichtbar wurde, dass der auch an den für die Schulverwaltung politisch problematischen Oberschulen weitgehend erfolgte Beitritt zur FDJ nicht zur politischen Stärkung der FDJ-Schulgruppen geführt hatte. Im Gegenteil bahnte sich hier die Instrumentalisierung der Organisation durch Schüler an, die ihr aus Opportunitätsgründen, unter dem Druck der Beitrittswerber oder auch deshalb beigetreten waren, um die Mitgliedschaft subversiv zu nutzen. Daneben gab es an einzelnen Schulen noch immer eine größere Anzahl von Schülern, die sich in die FDJ nicht eingliederte, so beispielsweise zahlreiche kirchenverbundene Oberschüler in Angermünde. Dem dort neuen Geschichtslehrer wurde von Schülern beschieden, wenn er Materialist sei, brauche er „erst gar nichts zu erzählen”. Einige Oberschüler erklärten in Aufsätzen und selbst vor der Überprüfungskommission offene politische Ablehnung, so etwa zur von der DDR-Regierung im Januar 1950 anerkannten Oder-Neiße-Grenze. An wieder anderen Schulen bestanden radikalistische und aggressive FDJ-Leitungen, die, gestützt durch örtliche Instanzen, die offene Konfrontation vor allem mit kirchlich gebundenen Nichtmitgliedern suchten. Insbesondere im Vorfeld der Reifeprüfungen charakterisierten solche Leitungen Mitschüler häufig abfällig. In dieser Weise nutzen bestimmte FDJ-Funktionäre ihre Einflussmöglichkeiten auch als Teilnehmer in den Reifeprüfungen selbst. Nachdem es unter dem vormaligen LDP-Ministerpräsidenten in Sachsen-Anhalt bis Oktober 1949 eher weniger einschneidende Maßnahmen an den Oberschulen gegeben hatte, wurden hier nun, um die Zulassung zur Universität im Sinne der SED zu steuern, Oberschüler durch die Landeszulassungskommission von der Reifeprüfung ausgeschlossen, wenn sie nach den Beurteilungen durch die FDJ und die Schule nicht erwarten ließen, ein „klares und sicheres Urteil über die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse der Gegenwart” fällen zu können. Hingegen konnten Schüler mit mangelhaften Leistungen dann eine Zulassung erhalten, wenn der gesellschaftspolitische Einsatz positiv zu bewerten war. Gegen das Votum des Schulleiters veranlasste die FDJ an der Oberschule Wernigerode, von der im Schuljahr 1949/50 bereits drei Schüler „entfernt” worden waren, dass acht Schüler mit Berufswünschen wie Katechet, Fremdsprachenkorrespondent, Medizinisch-technischer Assistent, Organist, Kirchenjurist wegen „mangelnder gesellschaftlicher Reife” nicht zur Prüfung zugelassen wurden. Die meisten dieser Schüler hatten die Zusammenarbeit mit der FDJ „vom christlichen Standpunkt aus” offen abgelehnt. Ähnliche Fälle der Nichtzulassung zum Abitur gab es vereinzelt auch in Thüringen, besonders in Jena. Insgesamt wurden in Sachsen-Anhalt von 2576 Schülern 176 leistungsbedingt oder aus politischen Gründen nicht zur Prüfung zugelassen. Die Verfahrensweisen wurde durch das Eingreifen des Ministeriums für Volksbildung, das für die Betroffenen eine Nachprüfung ansetzte, schließlich unterbunden. Insgesamt verdichtet die Überprüfung Einzelbefunde nun zu einem Bild, wonach es im zweiten Schulhalbjahr 1949/50 in nahezu jeder beliebigen Oberschulklasse eine mehr oder minder große, oft auch dominierende Gruppe von Schülern gab, die den Verhältnissen in der DDR deutlich kritisch oder ablehnend gegenüberstand. Im gleichen Zeitraum wurden an etwa einem Dutzend von Oberschulen Lehrer ebenso wie Schüler verhört oder zeitweise festgenommen. Anschließend wurden sie zumeist entlassen bzw. von der Schule verwiesen, ohne dass die Vorgänge einer größeren Öffentlichkeit bekannt wurden. Anders verliefen jene Fälle, in denen Schüler als Angehörige einer Gruppe festgenommen wurden. Im Schuljahr 1949/50 wurden nach den Meldungen aller Oberschulen der DDR insgesamt 47 Oberschüler aus politischen Gründen verwiesen. Das betraf außer den Fällen in Altenburg (3), Görlitz (7) und Schwerin (12) die Lessing-Oberschule in Hoyerswerda (vier Lehrer zeitweise festgenommen, drei davon fristlos entlassen; ein Schüler verhaftet), die Leibniz-Oberschule und die Nikolai-Oberschule in Leipzig mit je einer Verweisung von allen Oberschulen, die Karl-Marx-Schule in Leipzig mit vier Schulverweisungen wegen Disziplinarverstößen und „Ablehnung gesellschaftlicher Betätigung”, die Oberschule Wernigerode mit den bereits genannten drei Verweisungen, die Oberschule Radeberg mit zwei Verweisungen „wegen politischer Nichteignung”, mit je einem Ausschluss die Oberschulen Altdöbern, Eisenach, Lichtenstein, Leisnig, Limbach, Oschatz, Zittau und Zschopau wie die in Niesky „wegen faschistischer Tendenzen und flegelhaften Benehmens” und Oschatz „wegen scharfer Äußerungen gegen die neue Ordnung und die DDR”. Im März 1950 verhaftete der sowjetische Geheimdienst in Altenburg etwa 17 Personen, nachdem Schüler der dortigen Oberschule gemeinsam mit zwei jungen Lehrkräften u. a. kurzzeitig eine eigene Sendestation betrieben und über diese im Oktober 1949 die im Rundfunk übertragene Antrittsrede des DDR-Ministerpräsidenten gestört und kommentiert hatten. Während fünf der beteiligten Oberschüler flüchten konnten, wurden drei festgenommen49, ebenso ein Schulhelfer und zwei Lehramtsanwärter. Zwei dieser Lehrkräfte und zwei Oberschüler wurden im September 1950 durch ein sowjetisches Militärgericht zum Tode, weitere Mitglieder der Gruppe zu hohen Zuchthausstrafen verurteilt. Anfang Juli 1950 festgenommen und im Oktober gleichen Jahres wegen Verteilung von Flugblättern von einem sowjetischen Militärgericht zumeist zu 25 Jahren „Erziehungsarbeitslager” verurteilt wurden zwölf Schüler der Goethe-Oberschule in Schwerin. Am 27. September 1950 wurden in Güstrow neben weiteren Verhafteten auch acht Oberschüler der John-Brinckmann-Oberschule, die in Kontakt zur „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit” in West-Berlin gestanden und deren Flugblätter in Güstrow genutzt hatten, wegen „Verbrechens gegen den Frieden, Vorbereitung eines Krieges, Verletzung von internationalen Verträgen und Bekundungen von Völker- und Rassenhaß” zu Zuchthausstrafen zwischen fünf und 15 Jahren verurteilt.
4 WIDERSTANDSAKTIONEN, VERHAFTUNGEN UND VERWEISUNGEN IM SCHULJAHR 1950/51
Im folgenden Schuljahr 1950/51 lösten vor allem die nach Einheitsliste des „Demokratischen Blocks” vorbereiteten und irregulär durchgeführten „Wahlen” zur DDR-Volkskammer am 15. Oktober 1950 Widerstandsaktionen aus. Anfang Oktober 1950 kam es daraufhin an der GeschwisterScholl-Oberschule Löbau zur Festnahme von vier Schülern. Fünf Schüler der Schule flüchteten nach West-Berlin. Wegen „Stellungnahme gegen den Friedenskampf” wurden an der Landesschule in Templin fünf Oberschüler verwiesen, die bereits im Mai 1950 aus der FDJ ausgetreten waren und im Oktober die Teilnahme an der Wahl verweigert hatten. In Westdeutschland und damit auch in der DDR bekannt wurde der Fall eines Oberschülers aus Olbernhau52, der einige Tage vor der Wahl oppositionelle Flugblätter verteilt und den ihn verhaftenden Volkspolizisten mit einem Messer verletzt hatte. Daraufhin wurde er am 10. Januar 1951 „wegen Boykotthetze” und „versuchten Mordes” zum Tode verurteilt, nach westlichen Protesten schließlich zu 15 Jahren Zuchthaus „begnadigt”. Der „Fall” wurde unter Oberschülern sowie unter Lehrlingen – die wie auch Studenten noch weit mehr als Oberschüler von Zugriffen der „Sicherheitsorgane” betroffen waren – DDR-weit diskutiert. Im März 1951 erhielten in Jena mehrere Oberschüler hohe Haftstrafen. Wenig später, in einer dreitägigen Verhaftungswelle und hauptsächlich am 19. Mai 1951 wurden 16 Schülerinnen und Schüler der von den Schulbehörden zuvor kaum beanstandeten Humboldt-Oberschule im sächsischen Werdau – zumeist Mitglieder der FDJ, darunter auch Funktionsträger – von der Staatssicherheit festgenommen und in Untersuchungshaft in das benachbarte Zwickau überführt. Wegen der Verteilung selbstgefertigter Flugblätter und ihrer Kontakte zur „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit” in West-Berlin wurden sie zu Zuchthausstrafen bis zu 15 Jahren verurteilt. Die von der zunächst noch autark operierenden Staatssicherheit gegen die Oberschüler geführten Ermittlungen entzogen sich der Kenntnis der politischen Führung der DDR, der angesichts der Meldungen in den westlichen Medien auch die Verurteilungen und das Strafmaß ungelegen kamen. Insgesamt erfasste das Ministerium für Volksbildung der DDR im Schuljahr 1950/51, also von September 1950 bis Juli 1951, in den Ländern der DDR, einschließlich der Fälle in Werdau, 25 Verweisungen von allen Oberschulen „wegen politischer Vergehen”. Hinzu kamen Verweisungen in Ost-Berlin. Hier hatte die Oberschulüberprüfung dazu geführt, dass am Ende des Schuljahres 1949/50 „ein nicht unwesentlicher Teil der Schüler der 11. Klassen” aus den Schulen entfernt oder um ein Jahr zurückversetzt” worden war. Vorgekommen waren unter anderem die Demonstration einer Klasse der Schinckelschule im Prenzlauer Berg anlässlich der Einweihung der „Freiheitsglocke” des Schöneberger Rathauses sowie an einer Oberschule in Weißensee Flugblattverteilungen und „Zerstörung von Symbolen der Republik und Bildern führender Persönlichkeiten der deutschen demokratischen Republik”. Bleiben die kaum exakt feststellbaren Internierungen und Festnahmen durch den sowjetischen Sicherheitsdienst in der unmittelbaren Nachkriegszeit außer Betracht, so wurden nach den Unterlagen der Abteilung Oberschule des MfV seit 1951 schuljährlich etwa zwischen 30 und 50 Schüler aus unterschiedlichen Gründen, darunter auch politischen, von allen Oberschulen der DDR verwiesen. Zu wesentlichen Abweichungen von diesen Zahlen kam es im Frühjahr 1953 im „Kampf gegen die Junge Gemeinde” mit einer nochmaligen Überprüfung von Schülern und Lehrern und den nachfolgenden massenhaften, nach dem 17. Juni aber weitgehend revidierten Verweisungen und Entlassungen. Politisch motivierte Verurteilungen, also nicht nur Verweisungen von Oberschülern, sind über die genannten Fälle 1950/51 hinaus für das Jahr 1956 in Dresden, 1961 in Strausberg und 1968 bekannt.