Harald Bretschneider
Als Schulanfänger habe ich 1948 mit der Klasse geschworen, nie eine Waffe in die Hand zu nehmen. Einer von den in Leisnig stationierten russi schen Panzern hatte die Kurve um unser Haus zu scharf genommen. Sein Rohr schaute in unser Wohnzimmer und den Ketten fiel die Hausecke zum Opfer. Mein Banknachbar hatte das aufregende Ereignis gemalt. Der gerade aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft heimgekehrte Lehrer zerriss die Kin derzeichnung, erklärte, wie schlimm Krieg ist. Er nahm uns den Schwur ab.
Es soll nicht außer Acht gelassen werden, dass die Entwicklung des Militärischen in der DDR immer auch mit der geschichtlichen Entwicklung in Deutschland und den jeweiligen Bündnissystemen verbunden war. Aber auch wer von der Friedensliebe der sozialistischen Länder überzeugt war, musste einsehen, dass die emotionale Wehrerziehung und praktische Wehrausbildung bei Kindern und Jugendlichen und die Erziehung zum Hass überhaupt wenig zu den vertrauensbildenden Maßnahmen beitrug, die für die Abrüstung eigentlich nötig gewesen wären.
Doch die pädagogische Haltung zum Militär und zur Wehrbereitschaft entwickelte sich vom Schwur „Nie wieder eine Waffe in die Hand zu nehmen“ bis zur Bereitschaft, das sozialistische Vaterland mit der Waffe in der Hand und unter Einsatz des Lebens zu verteidigen. Der pädagogische Fachbegriff hieß „sozialistische Wehrerziehung“.
1 . DIE SOZIALISTISCHE WEHRERZIEHUNG
„Umfassend wie das Verteidigungsgesetz (1962) es berücksichtigt und die Bedingungen des modernen Krieges es verlangen, sind alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens in irgendeiner Form mit der Landesverteidigung verbunden. (Sozialistische Wehrerziehung in Beruf und Bildung, Verlag Volk und Welt, Berlin 1968, S. 10.)
Nach der Verabschiedung des Gesetzes über das einheitliche sozialisti sche Bildungssystem vom 25.2.1965 wird im gesamten Bildungswesen darauf hingearbeitet, die Wehrbereitschaft von Kindern und Jugendlichen systematisch zu erhöhen. Das Bildungswesen übernahm die Aufgabe, die Jugend ideologisch, physisch und fachlich auf den Wehrdienst vorzubereiten.
Nach dem Bildungs- und Erziehungsplan für Kindergärten (1963) hatte die sozialistische Wehrerziehung der Vorschulkinder zum Ziel, Gefühle und Emotionen auszubilden. Es sollten sich gefühlsbetonte Beziehungen der Verbundenheit zu den Angehörigen der bewaffneten Streitkräfte herausbilden. Nachdem nach 1945 jegliches Kriegsspielzeug verboten worden war und der Besitz hart geahndet wurde, gab es Ende der 1960er Jahre wieder Soldaten, kleine Panzer u. a. Es hieß nun aber „patriotisches Spielzeug“ und wurde von den Kindergärten zur Erfüllung des Erziehungsplanes angeschafft.
Die sozialistische Wehrerziehung der Schulkinder der Unterstufe war in den Schulbüchern z. B. in Form von Rechenaufgaben mit Panzern u. a. eingebunden. Sie sollte das Interesse und die Bereitschaft zu einer positiven Motivation und Einstellung zum Militärischen fördern und Interesse für mili tä rische Berufe wecken. Es war Erziehung zum Gehorsam, zur Disziplin und zum klaren Bekenntnis zur DDR. Jegliche Kritik wurde als mangelndes Klas senbewusstsein und gefährliches Stehen zwischen den Fronten dargestellt.
Die sozialistische Wehrerziehung in der Mittel- und Oberstufe erstreckte sich ab der 7. Klasse nicht mehr nur auf die Wehrbereitschaft, sondern auch auf die Wehrfähigkeit. Man nutzte die Technikbegeisterung der Schüler dieses Alters und besichtigte die moderne technische Ausstattung der NVA. Die ungeheure Vernichtungskraft der Waffen wurde verschwiegen und verschleiert.
Im Handbuch für Lehrer und Erzieher (Volk und Wissen, Berlin 1974, S.299) heißt es: „Der junge sozialistische Staatsbürger ist dazu zu erziehen, für die sozialistische Heimat zu lernen und zu arbeiten und zugleich die sozialistischen Errungenschaften gegen jeden Feind zu schützen und in einem der DDR aufgezwungenen Krieg, im Kampfbündnis mit der Sowjet union und den anderen Ländern der sozialistischen Staatengemeinschaft, den Aggressor auf eigenem Territorium zu vernichten.“
Wurde in der Unter- und Mittelstufe der Gegner nur als Fakt ohne Gesicht hingestellt, trug er in der Oberstufe – im Gegensatz zu den fröhlichen und freundlichen Gesichtern der NVA-Soldaten – das Gesicht und die Uniform von Angehörigen der Bundeswehr, vom Soldaten bis zum General.
Für die Abiturstufen, in denen die Werbung zur Verpflichtung als Soldat auf Zeit bzw. als Berufsoffizier intensiv betrieben wurde, heißt es im Handbuch für Klassenleiter: „Die Schüler der Abiturstufen sollen jegliche Illusion über die Rolle der imperialistischen Feinde als auch der Angehörigen der Bundeswehr überwinden. Sie sollen begreifen und anerkennen, dass der Kampf für die Sicherheit des Friedens und des Sozialismus auch von jedem einzelnen Opferbereitschaft fordert, wenn es sein muss auch die Bereitschaft zum Einsatz des Lebens.“
Schließlich erstreckte sich die wehrpolitische Erziehung auch auf die außer schulische Betätigung der Kinder. Dazu gehörten u. a. das „Manöver Schneeflocke“ in den Klassen der Unterstufe und die „Hans-Beimler-Wettkämpfe“ der FDJ für die 8. bis 10. Klasse.
Die sozialistische Wehrerziehung in der Berufsausbildung begann bereits mit der Unterschrift der Eltern und Lehrlinge unter den Lehrvertrag. Im Lehrvertrag hieß es (entsprechend Gesetzblatt 2/70 Nr. 41): „Der Lehrling hat an der militärsportlichen Ausbildung teilzunehmen, sich militärpolitische und militärfachliche Kenntnisse anzueignen bzw. an Maßnahmen der Zivilverteidigung mitzuwirken.“ Die sozialistische Wehrausbildung gipfelte in der vormilitärischen Grundausbildung der Gesellschaft für Sport und Technik (GST).
Zusammenfassend ist festzustellen, dass die militärische Erziehung in der DDR längst vor der Einführung des Faches Wehrunterricht stufenweise beim Kleinkind begann und bis zum Abitur bzw. zum Lehrabschluss fortgeführt wurde. Doch offensichtlich hatten alle diese Formen der sozialistischen Wehrerziehung noch nicht genügend zur „klassenbewussten“ Wehrbereitschaft beigetragen. Deswegen wurde zum 1. September 1978 das Pflichtfach „Wehrunterricht“ eingeführt.
2. DER WEHRUNTERRICHT ALS PFLICHTFACH FÜR
DIE 9. UND 10. KLASSE
Häufig wurde anstelle von Wehrunterricht von Wehrkundeunterricht gesprochen. „Wehrkunde“ war aber der Titel einer westdeutschen Zeitschrift.
„Die Direktive Nr. 3 des Ministers für Volksbildung zur Einführung und Gestaltung des Wehrunterrichts für die Schüler der 9. und 10. Klassen der allgemeinbildenden polytechnischen Oberschule in der DDR“ vom 1. Februar 1978 basierte auf dem Beschluss des Präsidiums des Ministerrates Nr. 203/2 /76 vom 21. Oktober 1976 über die Konzeption zur Einführung des Wehrunterrichtes und im Einverständnis mit dem Minister für Nationale Verteidigung.
In der Direktive werden als Ziele des Wehrunterrichtes formuliert:
„Der Wehrunterricht dient der sozialistischen Wehrerziehung der Jugend und ist fester Bestandteil der Bildungs- und Erziehungsprozesse der Schule. Er fördert die Entwicklung der Wehrbereitschaft und Wehrfähigkeit der Schüler und hat zum Ziel,
▪ die Mädchen und Jungen auf die Wahrnehmung des in der Verfassung festgelegten Rechts und der Ehrenpflicht zum Schutz des Friedens, des sozialisti schen Vaterlandes und der sozialistischen Staatengemeinschaft vorzubereiten.
▪ die klassenmäßige, patriotische und internationalistische Haltung der Schüler weiter auszuprägen und die Wehrmotivation zu festigen,
▪ die systematische und planmäßige Vorbereitung der Jugendlichen auf die Anforderungen des Wehrdienstes und der Zivilverteidigung durch Vermittlung entsprechender Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu unterstützen.“
Deswegen umfasste der Wehrunterricht obligatorisch in der 9. Klasse vier Doppelstunden zu Fragen der sozialistischen Landesverteidigung für alle Schüler. Dazu kam für Jungen die freiwillige Wehrausbildung im Lager mit zwölf Ausbildungstagen zu je acht Stunden. Für alle Mädchen und den Teil der Jungen, der nicht an der Wehrausbildung teilnahm, war der Lehrgang für „Zivilverteidigung“ Pflicht. Auch er umfasste zwölf Lehrgangstage mit je sechs Stunden.
Für die 10. Klasse waren wieder vier Doppelstunden zu Fragen der sozialistischen Landesverteidigung für alle Schüler angesetzt. Außerdem gehörten drei Tage der Wehrbereitschaft mit insgesamt 18 Stunden für alle Schüler dazu.
Die Direktive enthielt dann die genauen Inhalte und Gestaltungsaufgaben, die von den Direktoren jeder Schule umzusetzen waren.
Diese Direktive löste bei vielen, vor allem auch christlichen Eltern Unverständnis, Widerspruch und schließlich auch Widerstand aus.
Die Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR (KKL) bedauerte, dass ihrer Bitte, von der Einführung des Wehrunterrichts abzusehen, nicht entsprochen wurde. Sie trug in einem Schreiben vom 15.6.1978 an den Staatssekretär für Kirchenfragen, Hans Seigewasser, die Bedenken und Argumente, wie sie aus dem Wechselgespräch mit Kirchgemeinden, Eltern und jungen Erwachsenen und aus den Erörterungen in Beratungs- und Entscheidungsgremien der Kirchen deutlich geworden waren, nochmals vor.
In dem Schreiben wurde formuliert:
▪ „Der im Evangelium begründete Friedensauftrag verlangt von den Kirchen und jedem einzelnen Christen eine nüchterne Prüfung dessen, was in der gegenwärtigen Weltsituation Spannungen abbaut, Vertrauen fördert und dem Frieden dient.
▪ Wir verkennen nicht die Verpflichtung des Staates, die Sicherheit seiner Bürger zu schützen. Darum müssen wir uns fragen, was uns heute wirklich sicher macht. Ein von Angst und Bedrohung bestimmtes Sicherheitsdenken stellt nach unserer Überzeugung keinen Schritt auf mehr Frieden dar, weil es zu Handlungen führt, die auf der Gegenseite ebenfalls Angst erzeugen und zur Gegendrohung verleiten.
▪ Weil der beabsichtigte Unterricht ein Teil dieses gefährlichen Mechanismus zu werden droht, erscheint er uns als Mittel der Friedenssicherung wenig geeignet.
▪ Abrüstung ist ein dringendes Gebot der Stunde. Wir sehen eine untrennbare Beziehung zwischen den globalen politischen Bemühungen um die Beendigung des Wettrüstens und der Erziehung zu einem informierten Abrüstungsbewußtsein in der Gesellschaft. Abrüstung wird nur möglich sein, wenn sie wirklich gewollt und im Denken der Gesellschaft fest verankert wird. Wir sehen die Gefahr, dass obligatorische Wehrerziehung Minderjähriger zu einer Gewöhnung an militärische Mittel der Konfliktlösung führt, die sich langfristig als Hindernis für wirkliches Abrüstungsbewußtsein erweisen könnte. Um der Abrüstung willen brauchen wir eine Erziehung, die Menschen zu gewaltlosen Formen der Beilegung von Streit fähig macht.
▪ Junge Menschen, die die Schrecken des Krieges nicht kennen und zu einem differenzierten Urteil über die Risiken militärischer Friedensicherung im nuklearen Zeitalter nicht in der Lage sind, werden durch den beabsichtigten Unterricht, der die Möglichkeit einer bewaffneten Auseinandersetzung zwischen Ost und West als selbstverständlich voraussetzt und die Vorbereitung darauf zum Inhalt hat, in ihrer Friedensfähigkeit ernsthaft gefährdet. Die frühzeitige Anerziehung militärischer Denkweisen, Einstellungen und Verhaltensnormen im Schulunterricht kann dazu führen, dass die Chancen friedlicher Konfliktbeilegung in späteren Jahren gar nicht mehr wahrgenommen werden.
▪ Die Deutsche Demokratische Republik bekennt sich konsequent zur Friedensund Entspannungspolitik. Wir befürchten, dass die Glaubwürdigkeit dieser Politik im Ausland durch die Einführung des Wehrunterrichts Schaden leidet. Die weltweiten Bemühungen um die Schaffung nicht-militärischer Sicherheitssysteme können nicht zum Erfolg führen, solange innerhalb der Staaten einseitig auf militärische Sicherheit hin erzogen und ausgebildet wird. Das Ziel einer Welt ohne Waffen, dem sich der Sozialismus verpflichtet weiß, sollte nach unserer Auffassung gerade im Bereich der schulischen Erziehung und Bildung deutlicher hervortreten. Die Oekumene erwartet von Vertretern aus Kirchen in sozialistischen Ländern hier eine spezielle Hilfe und Wegweisung.
▪ Wenn die Deutsche Demokratische Republik trotz dieser erneut vorgetragenen Bedenken es nicht für möglich hält, von der Einführung des Faches Wehrerziehung/Wehrunterricht abzusehen, möchten wir an die Regierung appellieren,
▪ dass im Erziehungsprozess die Einübung friedlicher Verhaltensweisen und der Gesichtspunkt der Vertrauensbildung Vorrang behalten;
▪ dass Gewissensbedenken von Eltern und Schülern entsprechend Artikel 20 der Verfassung geachtet werden und die Regierung eine Benachteiligung derjenigen, die einer Beteiligung am Wehrunterricht nicht zuzustimmen vermögen, nicht zuläßt.
▪ Die Konferenz wird ihrerseits die Gemeinden in Fortsetzung ihrer bisherigen Bemühungen zu verstärkter Friedenserziehung ermutigen und ihnen dazu Hilfen zur
Verfügung stellen (…).“
Für die Kirchgemeinden wurde eine Orientierungshilfe zur Verfügung gestellt, die diese Position ausführlich vorstellte und die Argumente konkretisierte.
In einer Schnellinformation an die Kirchen und Gemeinden wurde von dem Gespräch der KKL mit dem Vorsitzenden des Ministerrates berichtet und dessen Positionierung mitgeteilt: Er betonte, dass alle Vorschläge und Empfehlungen mit großem Ernst zur Kenntnis genommen würden und sagte: „Je mehr Menschen richtig und gut denken, umso besser ist es für die Zukunft unseres Volkes.“
Auch die Katholische Berliner Bischofskonferenz hat sich in ähnlicher Form und mit ähnlichem Inhalt brieflich an den Staatssekretär gewandt.
Aber der Wehrunterricht wurde am 1. September 1978 in den Schulen eingeführt.
Es gab viele Eltern oder Schüler, die sich aus Glaubens- und Gewissensgründen bzw. aus pädagogischen Gründen weigerten, am Wehrunterricht teilzunehmen. Sie hatten es schriftlich den jeweiligen Schuldirektoren angezeigt und sich mit Eingaben an die Regierung gewandt. Von staatlicher Seite war gegenüber den Kirchen zugesichert worden, dass Schüler wegen Nichtteilnahme am Wehrunterricht nicht benachteiligt werden dürfen.
Trotzdem war die Anzahl der Eltern und Schüler, die sich durch Eingaben zu Wort gemeldet hatten bzw. die Teilnahme am Wehrunterricht verweigerten, weniger überwältigend als die klare Haltung der Kirche hatte erwarten lassen. Die Sorge um das Weiterkommen der Kinder, denen die Zukunft nicht verbaut werden sollte, wog für viele schwerer als die angebotenen Argumente.
Außerdem muss festgehalten werden, dass Nichtteilnehmer der Wehrlager die Tage als „unentschuldigt gefehlt“ eingetragen bekamen. Es zeigte sich, dass vor allem die ganz wenigen, die auch die Teilnahme an den vier Doppelstunden verweigerten, dafür aber zivile Aufgaben in der Schule erledigten, durchaus weitere Benachteiligungen beim Abschluss eines Lehrvertrages in Kauf nehmen mussten bzw. keine Delegierung zur erweiterten Oberschule mit Abitur erhielten.
Trotz vielfältigen Gesprächen und persönlichem Einsatz für die Betroffenen durch die Kirchen wurde nur selten die staatliche Entscheidung geändert.
3 . DIE BEWEGUNG „SCHWERTER ZU PFLUGSCHAREN“ UND DIE WIRKUNGEN DES PROPHETISCHEN WORTES DURCH DIE FRIEDENSDEKADEN BIS IN DIE GEGENWART
Um 1980 hatte das Wettrüsten zwischen Ost und West Mitteleuropa in ein Pulverfass verwandelt.
Das angehäufte Vernichtungspotential in aller Welt und die zunehmende Militarisierung in der DDR ängstigte immer mehr, besonders junge Menschen. Die Modernisierung russischer Raketen, die Stationierung der SS 20 in der DDR und der Pershing II in der Bundesrepublik, der NATODoppelbeschluss, der Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan und die zunehmende Bedrängnis für die Gewerkschaft in Polen sowie der 1978 in der 9. Klasse eingeführte Wehrunterricht bildeten den Hintergrund der Angst. Die Jugendlichen ahnten, dass sie die Soldaten der Zukunft sind, die im Ernstfall mit ihrem Leben bezahlen würden. Sie engagierten sich stärker in Friedensfragen.
Diese Situation spiegelt die totale Militarisierung von Staat und Gesellschaft. Als einer, der geschworen hatte, nie wieder eine Waffe in die Hand zu nehmen, beriet ich Jugendliche bei ihrer Entscheidung in Wehrdienstfragen.
Auf der Vertreterversammlung der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Jugend (AGCJ) 1980 wurde über die Anregung des Europäischen Ökumenischen Jugendrates informiert, dass junge europäische Christen je in ihrem eigenen Land einen Abrüstungstag gegen die Militarisierung gestalten sollten. Diesen Impuls habe ich als Landesjugendpfarrer aufgegriffen und umzusetzen versucht. Dazu schenkte Gott im Gespräch mit Freunden und Mitarbeitern wunderbare Ideen.
Die Umsetzung dieses Impulses führte mich zu der theologischen Überlegung, dass Abrüstung neues Denken, Umdenken, Umkehr und Buße benötigt.
Buße als Betroffenheit über komplizierte politische Wechselwirkungen zwischen Ost und West, über persönliches Verhalten und staatliche Erwartungen sowie über die menschliche Neigung, die Schuld – nicht nur am Wettrüsten – einfach der anderen Seite zuzuschieben.
Buße als Bekenntnis eigener Schuld, infolge menschlicher Manipulierbarkeit, Angst vor Repressalien und mangelnder Zivilcourage.
Buße aber auch als Besinnung auf Gottes Möglichkeiten, geschichtliche Ereignisse – trotz menschlicher Unmöglichkeiten – gnädig zu führen.
Deswegen habe ich, nach Rücksprache mit den Landesjugendpfarrern und in Abstimmung mit den Bischöfen, den Bußtag als Abschluss einer zehntägigen Friedensdekade vorgeschlagen.
Dazu passend fiel mir das biblische Wort „Schwerter zu Pflugscharen“ aus Jesaja 2,4 und Micha 4,3 ein: „Gott wird richten unter den großen Völkern und viele Heiden zurechtweisen in fernen Landen. Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln umschmieden. Es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben. Und sie werden hinfort nicht mehr lernen Krieg zu führen“. „Schwerter zu Pflugscharen“ wurde zu einem eigenständigen, bibelorientierten Ansatz kirchlicher Friedensarbeit in der DDR.
Als Landesjugendpfarrer wusste ich, dass Jugendliche Zeichen und Sym bole brauchen, um sich zu erkennen und um sich artikulieren zu können.
Im Gespräch mit Freunden erinnerte ich mich an die Skulptur des Russen Jewgeni Wutschetitsch mit dem Titel „Wir werden die Schwerter zu Pflugscharen umschmieden“. Sie war 1958 für die Weltausstellung in Brüssel geschaffen worden und nach dem prophetischen Wort gestaltet. Der atheistische Staatsmann Nikita Chruschtschow schenkte 1959 den Vereinten Nationen im christlichen Abendland eine Kopie des Kunstwerks. Damit stand die Skulptur in Moskau und New York. Sie war nicht einseitig politisch und als biblisches Symbol unanfechtbar für das Friedenszeugnis der Christen.
Um die öffentliche Wirksamkeit zu erhöhen, entwarf ich ein Lesezeichen „Frieden schaffen ohne Waffen – Schwerter zu Pflugscharen“, das auch in die Schulbücher gelegt werden konnte. Es zeigte die Abbildung der Plastik von Wutschetitsch und Hinweise zu Buß- und Bittgottesdiensten, zu Jugend- und Gemeindeabenden und zur „Friedensminute“.
Da der Bußtag immer auf einen Mittwoch fällt und jeden Mittwoch um 13.00 Uhr die Sirenen in der DDR überprüft wurden, schlug ich vor, zu den Sirenen gleichzeitig die Glocken zu läuten. Sie sollten zum Friedensgebet mahnen und die Menschen auf der Straße an die Gefährlichkeit des Wettrüstens erinnern.
Die Grafikerin Ingeborg Geißler aus Dresden setzte meinen Entwurf als Reinzeichnung um. Nach Abstimmung mit dem Sekretär des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR, Manfred Stolpe, ließ ich bei der Firma Abraham Dürninger & Co. in Herrnhut 100000 Stück auf Vliesstoff drucken. Ich wusste, dass Vlies-Druck „Textiloberflächenveredlung“ war und keiner Druckgenehmigung bedurfte.
Die auf Vlies gedruckten Lesezeichen und die Materialmappen für die Friedensdekade mit Gestaltungsvorschlägen und Argumentationshilfen wurden über die Landesjugendpfarrer in den Jungen Gemeinden verteilt. Viele Junge Gemeinden und Kirchgemeinden haben sich damit beschäftigt. Die erste Friedensdekade 1980 traf die Friedenssehnsucht vieler Jugendlicher.
Jugendliche diskutierten nicht nur in der Jungen Gemeinde, sondern auch in der Schule darüber. Einige nähten das Lesezeichen sogar auf ihre Parkas. Sie trugen damit ihren Wunsch nach Frieden noch weiter in die Öffentlichkeit.
Deswegen beschloss die Kommission kirchlicher Jugendarbeit des Bundes Evangelischer Kirchen in der DDR, 1981 die zweite Friedensdekade unter dem Thema „Gerechtigkeit, Abrüstung, Frieden“ durchzuführen.
Angeregt durch die aufgenähten Lesezeichen verständigte ich mich mit Landesjugendpfarrer Manfred Domrös, dass für die zweite Friedensdekade nicht nur 100 000 Lesezeichen, sondern dazu 100000 Aufnäher mit dem Symbol „Schwerter zu Pflugscharen“ gedruckt würden.
Der Grafiker Herbert Sander nahm die Umsetzung des Denkmals von Ingeborg Geißler auf und setzte sie als Aufnäher in den Farben der Trikolore um.
Da die Aufnäher größte Öffentlichkeitswirkung erreichten, hatten die „herrlichen Ideen“ „schlimme Folgen“. Obwohl es sich um ein Bibelwort und um ein russisches Denkmal, das in Moskau und New York steht, handelte, griff der Staat hart ein.
Nach dem November 1981 hatten vor allem die Mittel- und Oberschüler, aber auch die Lehrlinge und Berufsschüler harte Konsequenzen zu tragen, wenn sie diesen Aufnäher nicht entfernten. Anfangs setzten sich Lehrer wie Schüler mit dem biblischen Wort auseinander. Dann verlangten die Lehrer in den Schulen und die Polizisten auf der Straße die Entfernung der Aufnäher von den Jacken, weil „der undifferenzierte Pazifismus friedensfeindlich sei“, „die Aufnäher als Emblem des sozialen Friedensdienstes in der DDR verboten seien“, „die Herstellung illegal wäre“, „Offiziersbewerber und die länger Dienenden dadurch verunsichert würden und die Wehrkraft zersetzt würde“ usw.
Wenn der Aufnäher nicht entfernt wurde, durfte die Schule nicht mehr betreten werden; wurden Lehrverträge gekündigt; durfte das Abitur nicht abgelegt werden und waren die Studienplätze gefährdet. Es hat sogar strafrechtliche Verurteilungen und Gefängnisstrafen gegeben.
Erst nach der friedlichen Revolution wurde der Grund für die politische Härte gegenüber den Aufnäherträgern bekannt.
In einem Schreiben des Ministers für Staatssicherheit, Erich Mielke, vom 17. März 1982 an alle Verantwortlichen der Volksbildung und Leiter der Diensteinheiten des Inneren über „Maßnahmen zur Unterbindung des öffentlichen Tragens und des Verbreitens von Abzeichen, Aufnähern, Aufklebern, sonstigen Gegenständen, Symbolen und Texten mit pazifistischer Aussage“ heißt es:
„(…) Im Zusammenhang mit (…) so genannten Friedensinitiativen der evangelischen Kirche werden besonders von auf oppositionellen Positionen stehenden oder politisch-schwankenden und teilweise auch negativ-dekadenten Jugendlichen/Jungerwachsenen demonstrativ Abzeichen, textile Aufnäher u. ä. mit pazifistischer Aussage sichtbar an Bekleidungsgegenständen angebracht. Sie verfolgen das Ziel, sich mit der von reaktionären kirchlichen Kräften popularisierten Idee von einer so genannten staatlich unabhängigen Friedensbewegung in der DDR zu solidarisieren und ihre oppositionelle und ablehnende Haltung, insbesondere zur sozialistischen Verteidigungspolitik, damit offen zum Ausdruck zu bringen. Zur wirksamen Unterbindung dieser Aktivitäten sind folgende Maßnahmen durchzuführen:
- Die zuständigen zentralen staatlichen Organe, insbesondere die Ministerien für Volksbildung und für das Hoch- und Fachschulwesen und das Staatssekretariat für Berufsausbildung (…), haben zu gewährleisten, dass in ihren Verantwortungsbereichen das Tragen und Verbreiten derartiger Symbole unterbunden wird und
zu diesem Zweck die bestehenden Disziplinar-, Schul-, Internats- und anderen Ordnungen konsequent durchgesetzt werden.
2. Das Ministerium des Inneren hat zu gewährleisten, dass die Deutsche Volkspolizei das Tragen derartiger Gegenstände in der Öffentlichkeit (…) unterbindet, indem Träger derselben zur Entfernung und Herausgabe aufgefordert werden, in deren Ergebnis die entschädigungslose Einziehung erfolgt.
3. Im Weigerungsfalle erfolgt die Zuführung der entsprechenden Person (…) und die anschließende Durchsetzung der vorgenannten Maßnahme (…).
4. Durch die Leiter der Bezirksverwaltungen des MfS ist zu gewährleisten, dass die vorgenannten Maßnahmen in geeigneter Form mit tschekistischen Mitteln wirksam unterstützt und durch kluges differenziertes Handeln Konfrontationen vermieden werden (…).“
Die Konferenz der Kirchenleitung und die Synoden der Landeskirchen stellten sich hinter die Jugendlichen und zu dem von ihr gebilligten Symbol. Sie erklärten:
„Das Wort drückt unsere christliche Hoffnung aus, dass Gott einmal eine Welt schaffen wird, in der wir Menschen keine Waffen mehr brauchen, um uns zu schützen. Es drückt zugleich, als Folge solcher Hoffnung, unsere christliche Verantwortung aus, schon jetzt das Mögliche zu tun, damit Menschen und Völker ihre Konflikte ohne Waffen bewältigen. Die Atomwaffen unserer Zeit werden, falls sie zur Anwendung kommen, keine Sieger mehr hinterlassen. Sich im Sinne des Bildwortes „Schwerter zu Pflugscharen“ einzusetzen, heißt insbesondere, sich für Abrüstung einzusetzen. Es handle sich nicht um ein „simples Rezept“ gegen Atom waffen. Es ist ein Wegweiser, der die Richtung weist, in die gehen muss, wer Abrüstung will“.
Die sächsische Synode fühlte sich zu einer Kanzelabkündigung vom 24. März 1982 genötigt, weil die Kirche auch weiterhin hinter dem Symbol stand, aber es keine Möglichkeit mehr gab, die Träger der Aufnäher durch Vorsprache bei Vertretern des Staates zu schützen.
Im September 1982 bekannte die Bundessynode der evangelischen
Kirchen: „Wir halten an dem Symbol ,Schwerter zu Pflugscharen‘ als dem Zeichen der Friedensdekade fest.“ Aber „Wir verzichten um des Friedens willen“ auf den Druck weiterer Aufnäher.
Dafür gab es für die Materialien der Friedensdekaden ab 1982 Druckgenehmigungen durch das Staatssekretariat für Kirchenfragen. Sie waren wohl auch Ausdruck eines Bemühens um Schadensbegrenzung. Es bedeutete gleichzeitig, dass die gedruckten Materialien einer intensiven kirchlichen und staatlichen Zensur unterzogen wurden.
Die Friedensdekade war zuerst eine Initiative der Landesjugendpfarrer und das Material wurde in Zusammenarbeit mit dem Sekretariat des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR herausgegeben. Dann wurde die Vorbereitungsgruppe für die Materialien der weiteren Friedensdekaden zunehmend auch durch die Mitarbeit der Kirchen des Bundes und der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen unterstützt.
Die Friedensdekaden wurden in den folgenden Jahren fortgeführt und hatten die Themen:
- „Frieden schaffen ohne Waffen – Schwerter zu Pflugscharen“
- „Gerechtigkeit, Abrüstung, Frieden“
- „Angst, Vertrauen, Frieden“
- „Frieden schaffen aus der Kraft der Schwachen“
- „Leben gegen den Tod“
- „Frieden wächst aus Gerechtigkeit“
- „Friede sei mit euch“
- „Miteinander Leben“
- „Friede den Fernen und Friede den Nahen“
- „Kain und Abel – und was es heißt ein Mensch zu sein“
Immer stärker wirkten die Friedensdekaden durch die jungen Menschen in die Kirchgemeinden und in die Gesellschaft hinein und initiierten neue Impulse. Im „Berliner Appell – Frieden schaffen ohne Waffen“ von 1981 hatte Rainer Eppelmann das Thema der Friedensdekade 1980 aufgenommen.
Auf der Suche nach weiteren Wegen zum Frieden hatten 1981 die Dresdner Pfarrer Christoph Wonneberger, Dr. Christoph Wetzel und Christian Burkhardt auch unter Bezug auf das Thema der Friedensdekade 1980 zur Initiative „Sozialer Friedensdienst“ aufgerufen und für Unterschriften geworben, damit die Volkskammer einen sozialen Friedensdienst beschließen möge.
Angeregt von dem Aufnäher „Schwerter zu Pflugscharen“ hatten Jugend liche aus Dresden ein Flugblatt entworfen, mit dem sie zu einer kleinen Gedenkfeier am 13. Februar 1982, dem Jahrestag der Zerstörung Dresdens, einluden. Sie sollte von Jugendlichen selbst organisiert werden, die ihren Wunsch nach Frieden ohne „höhere“ Genehmigung zeigen wollten. Die Jugendlichen wurden sehr bedrängt, wandten sich an die Kirche und es kam zum 1. Forum Frieden in der Kreuzkirche.
Schon 1980 hatte Pfarrer Christian Führer zusammen mit dem Studentenpfarrer Dieter Ziebarth und einigen Studenten die zur Friedensdekade angeregte „Friedensminute“ in der Nikolaikirche Leipzig gehalten. Auf der Synode war er vom Landesjugendpfarrer über die Friedensdekade informiert worden. Auch 1981 gestaltete er die Friedensdekade mit Stadtjugendpfarrer Wolfgang Gröger in der Nikolaikirche. 1982 hielt er täglich um 17.00 Uhr mit den Texten des Leporellos der Friedensdekade das Friedensgebet. 1982 wandten sich die Jugendlichen der Jungen Gemeinde Probstheida mit dem Diakon Günter Johannson, unterstützt vom Jugendmitarbeiter der Thomaskirche, Hans-Joachim Döhring, an Superintendent Magirius mit dem Wunsch, sich auch außerhalb der Friedensdekade zu engagieren und Friedensgebete in der Nikolaikirche durchzuführen. Das war der Beginn der weltweit bekannt geworden Friedens- bzw. Montagsgebete, die am 9. Oktober 1989 schließlich zur Demonstration der 70000 führten und entscheidend zur friedlichen Revolution beitrugen.
Zum Kirchentag 1983 in Wittenberg hat Friedrich Schorlemmer mit dem Symbol „Schwerter zu Pflugscharen“ einen weiteren Akzent gesetzt. Er bat den Schmied Stefan Nau in Gegenwart des Bundespräsidenten Richard v. Weizsäcker, ein Schwert in eine Pflugschar umzuschmieden.
Die internationale Bekanntheit der Friedensdekade und die Wirkung der Aufnäher „Schwerter zu Pflugscharen“ hatte dazu geführt, dass ich als sächsischer Landesjugendpfarrer auf der Jugendvollversammlung des Lutherischen Weltbundes 1984 in Budapest zum Thema „Frieden und Gerechtigkeit in der Ost-West-Perspektive“ referieren sollte. Das Thema veranlasste mich auch, zum verantwortlichen Umgang mit der Macht zu sprechen. Der rigide Umgang mit den Jugendlichen Aufnäherträgern 1981/1982 nötigte mich, über den Missbrauch von Macht zu berichten. Ich formulierte: „Macht ist eine gute Gabe Gottes, mit der Menschen verantwortlich umgehen müssen. Verantwortlicher Umgang mit der Macht wird nicht nur von Politikern und Wissenschaftlern gefordert, sondern von allen Menschen erwartet. Aber Machtmissbrauch führt zum Gottesgericht, nicht nur im letzten Gericht der Ewigkeit, sondern in Form der Zerstörung der Gemeinschaft von Menschen schon in der Gegenwart.“
Ich sagte weiterhin: „Unverantwortlicher Umgang mit der Macht, selbstsüchtige Gier und Begehrlichkeit sind Schuld von Menschen. Sie wirken sich so aus, dass die Gesellschaft mürber und zerbrechlich wird, und Menschen an ihrem eigensüchtigen Tun zugrunde gehen.“
Damit war die Frage des Umgangs mit der Macht und ihres Missbrauchs in der internationalen Öffentlichkeit angesprochen. Das blieb nicht ohne Folgen.
Die Landeskirchen und Synoden, besonders auch die Bundessynode, haben sich intensiv mit den Friedensfragen beschäftigt und mutig Beschlüsse dazu gefasst.
Auch Friedenskreise, die von Nichtchristen geleitet wurden, übernahmen das Zeichen des Aufnähers als Zeichen der Friedensbewegung in der DDR.
Schließlich soll darauf hingewiesen werden, dass die die Demonstrationen begleitenden Ordner des Neuen Forums auf ihren gelben Schärpen die Aufschrift „Keine Gewalt“ trugen. Sie war von der Kraft der Gewaltlosigkeit durch die Wirkung von „Schwertern zu Pflugscharen“ abgeleitet.
Die Friedensdekade wird seit der Wiedervereinigung weitergeführt und findet in Kirchgemeinden in Ost und West statt. Sie ist einer der Impulse, die die Kirchen aus den neuen Bundesländern eingebracht haben, und hat mit dem Bußtag einen festen Platz im Kirchenjahr.
„Schwerter zu Pflugscharen“ hat die kirchliche Jugendarbeit in der DDR und die christliche Friedensbewegung weit über die Grenzen des Landes hinaus bekannt gemacht. Wir haben erlebt, wie Gott die biblische Vision zu einem Impuls für die friedliche Revolution ohne Gewalt werden ließ.
Es ist atemberaubend und hat etwas mit der Kraft biblischer Botschaft zu tun, wie Schüler und Lehrlinge mit dem Zeichen der Friedensdekade „Schwerter zu Pflugscharen“ das Friedenszeugnis der Bibel so ins Gespräch gebracht haben, dass in der Öffentlichkeit darüber diskutiert und der atheis tische Staat hinterfragt wurde.
Bis heute bewegt es mich, wie Jugendliche besonnen und reif, um ihres Friedenszeugnisses willen, Schwierigkeiten auf sich zu nehmen, ja sogar zu Leiden bereit waren und gegen alle Resignation unverdrossen versucht haben, dem christlichen Friedenszeugnis Hände und Füße zu geben.
Nicht zuletzt erwuchs der Mut zur Gewaltlosigkeit am 8. Oktober 1989 in Dresden angesichts der bedrohlichen staatlichen Machtdemonstrationen auch aus der Kraft des biblischen Wortes und der prophetischen Vision von den „Schwertern zu Pflugscharen“.
An diesem Tag siegte der Gesprächswunsch, den Frank Richter und Andreas Leuschner, selbst mit eingekesselte Demonstranten, an den verantwortlichen Einsatzleiter von Polizei und Armee herantrugen. Nach langem Warten kam es zu dem Gespräch. Zum Zeichen legten die Polizisten und Soldaten die Schilde und Helme ab.
Gleichzeitig und voneinander unabhängig ertrotzten die Vertreter der Kirche, Landesbischof Dr. Hempel, Superintendent Christof Ziemer und OLKR Reinhold Fritz, ein Gespräch mit dem Dresdner Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer. Sie baten ihn, keine weitere Eskalation zuzulassen, die Gewaltdemonstration von Polizei und Armee zu beenden und in einen Dialog einzutreten. Schließlich wurde ein Gespräch mit der kurzfristig gebildeten „Gruppe der Zwanzig“ und dem Oberbürgermeister für den 9. Oktober verabredet, über das am Abend in den vier größten Kirchen Dresdens die Bevölkerung durch Vertreter der „Gruppe der Zwanzig“ informiert werden sollte.
Die Kirchenleute wurden mit dem Dienstwagen des Oberbürgermeisters zu den Demonstranten gefahren. Sie teilten das Gesprächsergebnis mit und baten die Anwesenden, entsprechend der Bitte des Oberbürgermeisters, friedlich die Prager Straße zu verlassen.
In Erinnerung an dieses wunderbare Ereignis, dass mit den Gesprächen ein erster Ansatz zur Strategie eines friedlichen Machtwechsels gefunden wurde, hat die Initiativgruppe „Dresdner Aufbruch“ am 8. Oktober 2010 die Plastik „Steine des Anstoßes“ an der Südseite der Kreuzkirche in Dresden enthüllt.
In einem großen steinernen Würfel ist der schmiedeeiserne Abguss des Aufnähers eingelassen. Auf die Rückseite wurde die Inschrift eingemeißelt: „Schwerter zu Pflugscharen, Friedens- und Protestbewegung, die das Land veränderte, tausende Menschen mit Kerzen stimmen an: Dona nobis pacem!“
Dieser Würfel steht fest auf der Erde. Er besagt: Auf Gottes Wort ist Verlass, wenn die Menschen sich darauf einlassen. Über dem unteren Würfel sitzt ein zweiter, gleich großer Würfel auf einer Kante. Er zeigt, wie wackelig die gesellschaftliche Situation damals war. Alles stand auf des Messers Schneide. So ist es immer wieder. Deswegen wird am 8. Oktober jedes Jahres ein Friedensgebet in der
Kreuzkirche gehalten und am Denkmal vor der Kirche ein Abguss der
Plakette „Schwerter zu Pflugscharen“ einer Initiative aus einem anderen Land, die sich ebenfalls gewaltlos um Lösungen von schwierigen gesellschaftlichen Problemen in ihrem Land bemüht, mit einer ehrenden Laudatio überreicht.