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Karl Eduard von Schnitzler und die Folgen – Feindbilder und Feindbildvermittlung in der DDR

HINTERGRÜNDE

Rüdiger Steinmetz

Karl-Eduard von Schnitzler markierte und mediatisierte den Ost-WestGegensatz im Kalten Krieg und darüber hinaus in den Zeiten der deutschdeutschen Annäherung wie kein anderer. Wir haben ihn fast ausschließlich als Kommentator des Schwarzen Kanals in Erinnerung – und die jüngere Generation nicht einmal das. In diesem Beitrag sollen andere Facetten seines journalistischen Handelns in der DDR im Vordergrund stehen, zunächst aber soll eine kurze, für das Verständnis des DDR-Journalisten nicht unwichtige Vorgeschichte erzählt werden. Vor dem Hintergrund des Kalten Krieges, des Ringens der DDR um internationale Anerkennung, der Zweistaatlichkeit Deutschlands und schließlich des Scheiterns des sozialistischen Experiments an seiner eigenen Ökonomie und seinen Bürgern, die die Friedliche Revolution unternahmen, ist dies alles zu sehen. Von Schnitzler war ein wesentlicher Repräsentant des DDR-Mediensystems, das die Aufgabe hatte, zum Sozialismus zu erziehen, und damit im deutlichen Gegensatz zum westlichen, demokratischen Mediensystem stand. Beide waren massen-kommunikativ miteinander über die Block-Grenzen hinweg in einem „kontrastiven Dialog“verbunden, der mal hitziger, mal entspannter, mal gar kooperativ verlief.

Von Schnitzler hatte in britischer Kriegsgefangenschaft seit 1944 in der Redaktion der täglichen BBC-Sendung Hier sprechen deutsche Kriegsgefangene zur Heimat mitgearbeitet, war seit Oktober 1945 Leiter des Frauenfunks und ab Januar 1946 des Ressorts „Politisches Wort“ beim Nordwestdeutschen Rundfunk (NWDR), Funkhaus Köln. Aus dem NWDR gingen dann 1956 der Norddeutsche Rundfunk (Hamburg) und der Westdeutsche Rundfunk (Köln) hervor. Von Schnitzler war als deutscher  übergelaufener Kriegsgefangener in Ascot/GB von den Briten als Journalist beim deutschsprachigen Dienst der BBC ausgebildet worden, gemeinsam mit anderen Sozialisten und Kommunisten; er hatte also eine journalistische Prägung nach westlich-demokratischem Muster und zugleich eine linke Überzeugung. Im Zuge der beginnenden Ost-West-Auseinandersetzungen entließ Hugh Carletone Greene, britischer Chief Controller des NWDR, ehemals BBC, ab dem Frühjahr 1947 die deutschen Kommunisten Max Burghardt (Funkhausdirektor in Köln), Hans-Günther Cwojdrak, Dr. Egel, Karl Gass und eben auch von Schnitzler, letzteren nach Versetzung nach Hamburg im November 1947. Um von Schnitzler hatten sich die „linken“ Programmverantwortlichen im NWDR geschart, und dieses „Nest“ sollte zerschlagen werden. Auslöser dafür waren interne, aber auch öffentliche, in den Printmedien geführte Auseinandersetzungen darüber, dass im frühen Nachkriegs-NWDR die Säuberungen von NS-belasteten Mitarbeitern in einem Missverhältnis zu stehen schienen zum harschen Umgang mit den linken, remigrierten Mitarbeitern. Im März 1947 schrieb der 29-jährige von Schnitzler an den NWDR-Chief Controller Greene:

„Die Hörer des NWDR werden eines Tages erkennen, dass der NWDR in den Geburtswehen der deutschen Demokratie unter Ihrer Leitung versagt und seine historische Aufgabe der Völkerverständigung und des sozialen und geistigen Wandels nicht erfüllt hat.“

Zum 31. Dezember 1947 entließ Greene von Schnitzler aus dem NWDR, und dieser ging im März 1948 in die Sowjetisch Besetzte Zone (SBZ) zum „Berliner Rundfunk“ und zum „Deutschlandsender“. Greene hatte sich nach seinen eigenen Erinnerungen für von Schnitzler etwas besonders Perfides ausgedacht:

Es waren „alle Vorbereitungen getroffen worden, damit er nach dem Westen zurückkommen konnte. Erst im letzten Augenblick hielt er sich nicht an die Verabredung. Ich hatte geplant, ihn wieder beim NWDR einzustellen, ihn im Rundfunk die Gründe für seine Rückkehr nach dem Westen erläutern zu lassen und ihn dann wegen Charakterlosigkeit zu entlassen.“

Diese Vorgeschichte dürfte einer der Schlüssel für die Verbissenheit sein, mit der von Schnitzler in der DDR gegen die Bundesrepublik agitierte.

Mit dem Schwarzen Kanal befeuerte von Schnitzler fast dreißig Jahre lang den medialen Kalten Krieg zwischen Bundesrepublik und DDR – zwischen den Ost-West-Blöcken. Seine massen-kommunikativen Gegenspieler in diesem „kontrastiven Dialog“ waren auf westlicher Seite vor allem drei Journalisten: der Kommentator des Senders Freies Berlin ( SFB), Günther Lincke, der die Hörfunksendung Mitteldeutsches Tagebuch prägte; Hanns Werner Schwarze, der ab Januar 1966 mit Drüben (später Kennzeichen D) im ZDF ein 20-minütiges, sehr sachliches Magazin über Alltag und Ereignisse in der DDR realisierte; und vor allem – entgegengesetzt  kämpferisch zu von Schnitzler, aber nicht minder verbissen – Gerhard Löwenthal ab 1969 mit seinem ZDF-Magazin.Die Programm- und journalistisch-biographische Geschichte dieses kontrastiven Dialogs, vor allem seiner beiden Haupt-Protagonisten, ist aus den Akten- und Programmarchiven erst noch zu erforschen und zu schreiben. Nachdem wir in einem sehr umfangreichen, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekt die Programmgeschichte des DDR-Fernsehens in vielen ihrer Facetten untersucht haben,ist es an der Zeit, künftig nur noch vergleichende Programmforschung zu betreiben. Dabei würden das Kommunikative dieses Prozesses und auch gewisse Ähnlichkeiten seiner Formen deutlicher als bisher hervortreten.

Von Schnitzler hielt bis zu seinem Lebensende verbissen an seinen Maßstäben fest. Das wird in seinen Erinnerungenund auch an folgendem Beispiel seiner Beurteilung der martialisch befestigten „Staatsgrenze“ und der Verurteilung von „Republikflüchtlingen“ noch im Jahr 1992 deutlich:

„Es gab da die verschiedensten Motive, es gab zum Teil auch gar keine Gründe für jemand abzuhauen. Abenteurerlust ist kein Motiv. (Frage Interviewer: Warum?) Weil man Abenteurerlust auch auf andere Weise befriedigen konnte. (Frage Interviewer: Können Sie das den Leuten vorschreiben?) Ich rede ja nicht von vorschreiben. Abenteurerlust heißt ja, dass man irgendein Bedürfnis hat, und das kann man auch befriedigen – ohne eine Grenze zu verletzen. (Frage Interviewer: Wenn man nicht rauskommt?) (Schnitzler laut:) Ich will Ihnen etwas sagen: Diese ganze Diskussion über die Grenze kotzt mich auf Deutsch an.“

Karl-Eduard von Schnitzler wird immer auf den Schwarzen Kanal reduziert. Aber sein Fernsehschaffen war durchaus viel umfangreicher. Er schrieb szenische, politische Dokumentationen (z.B. 1963 Der Fall Humphrey, George) , womit eine Mischform des Fernsehspiels gemeint war, die aus Spielszenen, dokumentarischem Filmmaterial, Zeitungsausschnitten und Zitaten bestand. Er moderierte politische Diskussionsrunden und verfasste Kommentare für den Hör- und Fernsehfunk. Von Schnitzler gehörte außerdem zu einer von drei dokumentarischen Filmgruppen, die sich auf Westdeutschland konzentrierten, neben den Dokumentaristen Walter Heynowski und Gerhard Scheumann (H&S) und der Gruppe Sabine Katins (FernsehReihe Alltag im Westen) . In dieser Gruppe realisierte von Schnitzler u.a.

Dokumentationen aus Anlass des 50. Jahrestages der Machtergreifung

Hitlers (1983: Was war Faschismus wirklich?)  und des 40. Jahrestages der Gründung der beiden deutschen Staaten: Wie die BRD entstand (1989). Jahrestage waren überhaupt sein Thema: der fünfte des Mauerbaus, der 40 . des Beginns des Zweiten Weltkriegs, der 20. des Hitler-Attentats vom 20. Juli 1944. Immer wieder handelte es sich um subjektive Geschichtsdarstellungen, die er im Gewand unanfechtbarer Fakten und „objektiver“ Dokumentationen auftreten ließ: ein „historisch nachprüfbares Dokument“. Von Schnitzler war ebenfalls sehr umfangreich für die DEFA tätig, u.a. mit dem Drehbuch für Du und mancher Kamerad (Andrew und Annelie Thorndike, DDR 1956). In all seinen journalistischen Hervorbringungen stellte er die Diskreditierung des „Gegners“, des kapitalistischen Systems, seiner Geschichte und seiner Repräsentanten, vor die Faktentreue. Diverse Fälschungen mit Mitteln der Filmtechnik, der Montage und der Inszenierung haben Tilo Prase und Judith Kretzschmar nachgewiesen.

Zumindest für das letzte Jahrzehnt der DDR und des DDR-Fernsehens kann man die begründete Behauptung aufstellen, dass diese Art der Agitation aus Zeiten des Kalten Krieges, die Karl-Eduard von Schnitzler praktizierte, einen Effekt hatte, der der eigentlichen Absicht diametral zuwider lief. Die Unglaubwürdigkeit der projizierten Feindbilder kontrastierte allzu sehr mit den Alltagserfahrungen der Menschen.

FEINDBILD UND FREUNDBILD

Judith Kretzschmar

Zur Reiz- und Symbolfigur eines parteiischen DDR-Journalismus wurde der am 28. April 1918 in Berlin-Dahlem geborene Karl-Eduard Richard Arthur Gerhard von Schnitzler wie bereits oben beschrieben vor allem durch die von 21. März 1960 bis 30. Oktober 1989 ausgestrahlten 1.519 Folgen der propagandistischen Hetzsendung Der Schwarze Kanal, in der er das Fernsehen des westdeutschen ‚Klassenfeindes‘ und die Entwicklung in der Bundesrepublik polemisch kommentierte.Die erste Sendung, bei der von Schnitzler Autor und Moderator war, leitete er mit folgenden Worten ein:

„Der Schwarze Kanal, den wir meinen, meine lieben Damen und Herren, führt Unflat und Abwässer; aber statt auf Rieselfelder zu fließen, wie es eigentlich sein müsste, ergießt er sich Tag für Tag in hunderttausende westdeutsche und Westberliner Haushalte. Es ist der Kanal, auf welchem das westdeutsche Fernsehen sein Programm ausstrahlt: Der Schwarze Kanal. Und ihm werden wir uns von heute an jeden Montag zu dieser Stunde widmen, als Kläranlage gewissermaßen.“

Die 20-minütige Sendung wurde künftig jede Woche am Montagabend nach dem beliebten Filmklassiker im I. Programm ab etwa 21.30 Uhr ausgestrahlt und am Dienstag im II. Programm wiederholt. In der letzten Sendung am 30. Oktober 1989 erhielt von Schnitzler für eine abschließende Stellungnahme fünf Minuten Sendezeit und verabschiedete sich mit einem trotzigen Manifest:

„In diesem Sinne werde ich meine Arbeit als Kommunist und Journalist für die einzige Alternative zum unmenschlichen Kapitalismus fortsetzen, als Waffe im Klassenkampf zur Förderung und Verteidigung meines sozialistischen Vaterlandes. Und in diesem Sinne, meine lieben Zuschauerinnen und Zuschauer, liebe Genossinnen und Genossen: Auf Wiedersehen.“

Diese Worte zeigen deutlich, dass von Schnitzler obgleich der deutlichen und in den Wendemonaten immer lauter werdenden Kritik an dem Schwarzen Kanal keine Reue zeigte. Stets kennzeichnete er den Kanal als wichtige „Hygiene im Äther“und betonte den Verdienst der Sendung, mit der er der ‚Hetze‘ westlicher Medien gegen den Sozialismus die ‚Wahrheit‘ entgegengesetzt habe. Bis zum Schluss – er starb im Alter von 83 Jahren am 20. September 2001 in Zeuthen bei Berlin– stand von Schnitzler überzeugt zu seiner Arbeit und zur DDR: „Da dem deutschen Kapitalismus nichts Schlimmeres passieren konnte als die DDR, musste ihr schärfster Vorkämpfer in den Dreck gezogen werden. Völlig klar. Amüsiert mich. Bestätigt meine Haltung.“

Doch nicht das bekannte und durch von Schnitzler vehement propagierte Feindbild soll hier im Zentrum der Betrachtung stehen, sondern sein damit eng verknüpftes und dennoch weniger geläufiges Freundbild.

16 Jahre nach dem ersten Kanal begann er mit Rügen – Entdeckung einer Insel (1976) für sich eine neue Form von Fernsehbeiträgen zu entdecken, der in zehn Jahren 15 wenig bekannte abendfüllende Heimatreportagen folgten.Ausgangspunkt war der IX. Parteitag der SED 1976, auf dem gefordert wurde, dass in allen gesellschaftlichen Bereichen eine intensive Hinwendung zur Darstellung der DDR mit betont heimatverbundenem Charakter verstärkt werde, um die Identifikation der Bevölkerung mit ihrem sozialistischen Vaterland voranzutreiben, die zunehmenden inneren Spannungen einzudämmen und die Abgrenzungspolitik gegenüber der Bundesrepublik emotional zu stützen.Das Fernsehen war zu dieser Zeit endgültig zum Leitmedium aufgestiegen, die Heimatreportagen, mit ihrer identitätsstiftenden Funktion nach innen, sollten den Menschen die Ideen des sozialistischen Zeitalters näher bringen. Und auch von Schnitzlers Triebfeder war es, „Heimatgefühl, sozialistischen Patriotismus, richtige Einstellung zum sozialistischen Vaterland, wenn nicht zu erwecken, so doch zu fördern.“

Andreas Zirke, der für seine Diplomarbeit an der Karl-Marx-Universität Leipzig, Sektion Journalistik, Karl-Eduard von Schnitzler interviewte, formulierte das Ziel der Reportagen wie folgt: „Mit dem Entdecken von Landschaften, interessanten Menschen und Geschichten möchte er einen anschaulichen Beleg für das Neue und Schöne in unserem Land geben und Stolz auf das bisher Erreichte ausprägen.“Und auch von Schnitzler betonte, dass er Heimatfilme im sozialistischen Sinne gestalten wollte:

„Es kommt darauf an, was man unter ‚Heimatfilm‘ versteht. Ist damit die Idylle, die Schnulze gar gemeint, die Abkapselung vom großen Ganzen, die Flucht vor Zeit und Welt, dann gewiss nicht! Keine Beschränkung also auf das ‚Kleine‘, um vom Großen abzulenken. Aber die Heimat als Bestandteil, als Baustein des Ganzen, eingebettet in das große sozialistische Vaterland, und das als dialektische Einheit mit allen Wechselbeziehungen auch von Geschichte und Gegenwart: solcherart als Heimatfilm verstanden – ja!“

Der Grundgedanke war stets der gleiche – er wählte eine bestimmte Region aus ‚seiner‘ sozialistischen Heimat, um die Vielschichtigkeit des kleinen Landes zu zeigen und sie parallel in Bezug zum gesamten Staatsgebilde zu setzen. Zuerst stellte er ganze Kreise vor (z.B. Überraschungen zwischen Elend und Sorge 1977 – Kreis Wernigerode, Rund um den Kuhberg 1980  – Kreis Reichenbach). Später erkannte er selbst: „Das führt leicht zu einem Schematismus, weil natürlich jeder Kreis die Industrie und die Besonderheit den Volkskünstler und die Landschaft hat. Dann habe ich mich auf immer kleinere Themen beschränkt – die kleine Insel Poel, die Universität Leipzig oder ein Dorf in Sachsen.“

Doch ganz im Sinne der offiziellen Definition, nach der die sozialistische Heimat nicht lokal begrenzt, sondern das gesamte Vaterland ist, zeichnete von Schnitzler – stets pädagogisch und belehrend – ein parteiisches Bild ohne regionale Spezifik. Er wollte dem Zuschauer ein Gesamtbild vermitteln, wollte darlegen, was die Heimat DDR wirklich bedeutet, was für Fähig keiten und Kräfte in diesem Land stecken und wie es eine Heimat für alle Menschen sein kann:

„Ich liebe, was man ‚Land und Leute‘ nennt. ‚Land und Leute‘ sagt sich leicht. Aber deutsche Landschaft und die Menschen, die sie bevölkern – das ist mehr. Wie erst, wenn die Heimat im sozialistischen Vaterland liegt und die Menschen – ob Sozialisten oder noch nicht – ihrem Leben und ihrer Arbeit einen neuen Sinn gegeben haben. Das mitzuteilen und zu helfen, es bewusst zu machen – das ist die Absicht meiner Fernseh-Reportagen aus Dörfern, Städten und Kreisen unserer Republik […].“

Alle Filme haben einen identischen Bauplan. Welche Region oder Stadt er auch für seine Reportagen ausgewählt hatte, der Aufhänger war dabei stets der gleiche: „Ich versuche in den Mittelpunkt immer ein soziales Problem zu stellen.“Diesen sozialen Rahmen füllte er dann – ganz im Sinne der 1971 beschlossenen Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik – mit wirtschaftlichen Schwerpunkten der Region aus. Das Wichtigste und Interessanteste war für von Schnitzler nach eigenen Angaben aber immer der Mensch.Umso beachtlicher ist, dass die Menschen in seinen Reportagen nur Statisten, Funktionsträger bleiben, als Teil des Vaterlands, der Arbeiterschaft, der Produktion dargestellt werden und mit ihren Aussagen nur vorgefertigte Muster stärken. Protagonisten werden nicht individualisiert, handelnde Personen weder künstlerisch noch emotional näher vorgestellt. Die Menschen sind Beiwerk, um die Effizienz der Betriebe zu präsentieren und damit der Wirtschaft eine glänzende Zukunft zu bescheinigen.

Gemäß dem eigenen subjektiven und ideologisch eindeutigen Heimatbild sortiert von Schnitzler alle Fakten mittels Gut-Böse-Schablone und bringt fortwährend fixe inhaltlich-thematische und inhaltlich-dramaturgische Konstanten zur Anwendung. Kritische Aspekte werden dabei rigoros ausgeblendet, ebenso komplexe Geschichten, die mehr hätten transportieren können als das unmittelbar Gezeigte. Von realen Problemen weit entfernt, wird ausschließlich die Überwindung maschineller Schwierigkeiten durch sozialistische Heldentaten thematisiert. Die Erfolge beim Aufbau werden gepriesen, um die Stärke der SED zu untermauern und die Bürger anzuhalten, mit ihrer ganzen Kraft für die Verwirklichung der Pläne der Partei einzutreten. Hierzu diente auch der Blick auf geschichtliche Details, auf die Erbauer des historischen Fundamentes der DDR: Lückenhaft wird das berichtet, was für das weltanschauliche Anliegen verwertbar schien.

Die Heimat-Reportagen sollten zum ideologischen und moralischen Selbstverständnis sowie zur geistigen Bewahrung des kulturellen Erbes beitragen, das Geschichtsbewusstsein fördern und historische Leitbilder vermitteln. Hierzu entwarf von Schnitzler ein farbenprächtiges Gemälde von der DDR, einem Land mit moderner und hochproduktiver Industrie, künstlerischer Vielfalt, mit besten deutschen Traditionen und zufriedenen Einwohnern. Die Bilder sind dabei oft ästhetisch überzogen und der inhaltlichen Abfolge fehlt jede Chronologie. Sprunghaft in der Erzählung und doch ermüdend gleichförmig in der Gesamtdarstellung präsentierte von Schnitzler ‚seine‘ sozialistische Heimat und schilderte die Gegenwart aus der Perspektive einer strahlenden Zukunft.

In Karl-Eduard von Schnitzlers gesamten Schaffen ist die Feindbilddarstellung mit seinem „Freundbild“ eng verwoben. Das Bild der DDR diente ihm als Beweis für das progressive, bessere Gesellschaftssystem, aber die Beweisführung stützte sich immer auch auf die Abgrenzung zur Bundesrepublik Deutschland – eine Perspektive, die im Gesamtwerk von Schnitzlers gegenwärtig ist. Doch nicht nur dadurch stehen die Reportagen in direktem Bezug zum Schwarzen Kanal. Ebenso wie in seiner politisch-agitatorischen Sendung, in der er die Machtverhältnisse in der Bundesrepublik mittels Ausschnitten aus westlichen Nachrichten, Reportagen und politischen Magazinen attackierte, die zunächst gezeigt und anschließend mit aggressiver Polemik und rücksichtsloser, auch persönlich angreifender Argumentationsweise kommentiert wurden, sucht er auch in den Heimatreportagen die Auseinandersetzung mit dem ‚kapitalistischen deutschen Staat’. In bekannter Weise zitiert er auch hier (vermeintliche oder reale) Aussagen aus der Bundesrepublik, stellt sie als Lüge bloß und untermauert seine Aussagen mit der Präsentation einer DDR, die bis hin zum kleinsten Areal als innovativ, kraftvoll und zukunftsträchtig präsentiert wird. Beide Sendeformen zeugen von Schnitzlers unnachgiebiger Position: die DDR war für ihn der wahre Sieger der deutschen Geschichte und deren glänzende Gegenwart und Zukunft galt es zu zeigen, andererseits war es sein erklärtes Ziel, den Gegner Bundesrepublik zu bekämpfen und die Feinde der DDR an den Pranger zu stellen.

Der Zusammenhang war für ihn klar: „[…] kann man die Heimat und das sozialistische Vaterland wirklich lieben, aktiv lieben in dem Sinne: sich Gedanken machen, lernen, anpacken – ohne diejenigen aus ganzem Herzen zu hassen, die unsere Heimat zerstören, unser sozialistisches Vaterland aus der Welt haben wollen?“Die sozialistischen Errungenschaften galt es für ihn zu verteidigen, gegen die Feinde in der Bundesrepublik, und gleichzeitig versicherte er: „Ich hasse nicht und ich erziehe nicht zum Hass. Ich versuche zur Liebe zu verführen, zur Liebe zum Menschen, zur Liebe zur Heimat, zur Liebe zum Frieden.“

Ein weiterer, nicht unerheblicher Aspekt war sicher auch, dass er die Reportagen als Ausgleich zum Schwarzen Kanal sah. Sein Produktionsleiter Manfred Marotzke bestätigt dies: „Die Reportagen waren Ventil zum Kanal und zur Kommentatorentätigkeit. Mit ihnen konnte er auf dem Bildschirm zeigen, dass er sich nicht nur mit Konterpropaganda, die ja damals auf beiden Seiten mit harten Bandagen ausgefochten wurde, sondern sich auch mit Land und Leuten der DDR befasste.“Und von Schnitzler selbst zeigte sich glücklich darüber, dass er – im Gegensatz zum Schwarzen Kanal, in dem er das Feindbild zeichnete – nun auch ein „Freundbild“machen könne: „Sich mit dem Freund und Genossen, mit dem eigenen, real existierenden und funktionierenden Sozialismus zu beschäftigen ist angenehmer. Das eine hat mit Liebe zu tun, das andere mit Hass.“

Ungeachtet dieser hehren Intention verfehlten Schnitzlers Reportagen klar die realen Bedürfnisse der Zuschauer. Programme, die die (idealisierte) DDR zum Inhalt hatten, fanden ohnedies beim Fernsehpublikum kaum Beachtung, da die DDR-Bürger wenigstens visuell aus dem eingeengten Lebensbereich entfliehen wollten und die ersehnte weite Welt über das Fernsehen der Bundesrepublik in die Wohnzimmer kam. Die Ergebnisse der Zuschauerforschung untermauern dies: Die realitätsfremden Heimat-Reportagen von Karl-Eduard von Schnitzler haben nur klägliche Einschaltquoten erzielt.Sie konnten kein Akzeptanzpotential für die DDR schaffen, keinen Beitrag zur Identitätsbildung, zum ‚Wir-Gefühl‘ leisten. Kritische Aspekte wurden so unverkennbar verschwiegen, dass den Zuschauern die Vertuschung und Beschönigung zu offenkundig war. Die Sicht Schnitzlers auf sein „sozialistisches Vaterland in den Reportagen war meistens zu einfach und realitätsfremd dargestellt. Das merkten die Zuschauer und dann ging manche gute Absicht nach hinten los. Vertane Mühe.“, so Marotzke im Rückblick.Nach dem Ende der DDR antwortete Karl-Eduard von Schnitzler selbst auf die Frage eines Journalisten, warum er in diesen Reportagen jede Härte und jeden kritischen Zeitgeist völlig verdrängt habe: „Ich habe es nicht als meinen Auftrag angesehen, eine Reportage gegen die DDR zu machen. Auch bin ich kein Ökonom. Ich bin Außenpolitiker. Ich bin ein Außenpolitiker, der sein Land mit sehr freundlichen Augen sah und zeigen wollte.“