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Sozialistische Heimat? Der sozialistische Heimatbegriff und seine gesellschaftliche Aneignung

Thomas Schaarschmidt

„Unsre Heimat, das sind nicht nur die Städte und Dörfer, unsre Heimat sind auch all die Bäume im Wald. Unsre Heimat ist das Gras auf der Wiese, das Korn auf dem Feld und die Vögel in der Luft und die Tiere der Erde und die Fische im Fluß sind die Heimat.

Und wir lieben die Heimat, die schöne, und wir schützen sie, weil sie dem Volke gehört, weil sie unserem Volke gehört.”

Das Lied der Thälmann-Pioniere begleitete mehrere Generationen von Kindern, die in der DDR aufwuchsen. Es entstand 1951 und drückt in kindlich-naiver Weise ein Heimatverständnis aus, das für die DDR charakteristisch war. Die Formulierung „Wir schützen die Heimat, weil sie unserem Volke gehört”, war nicht zufällig gewählt, sondern entsprach einem spezifischen sozialistischen Heimatbegriff, der in den 1950er Jahren formuliert wurde. Vorbild des sozialistischen Heimatbegriffs in der DDR waren wie so oft Stalin und die Sowjetunion als „Heimat der Werktätigen”. So hieß es im ersten Satz der 1946 für die deutschen Leser übersetzten Werke Lenins: „Die Lehre von Marx, Engels, Lenin, Stalin ist eine mächtige Waffe des Sowjetvolkes im Kampf für die Ehre, Freiheit und Unabhängigkeit unserer sozialistischen Heimat, im Kampf für den Aufbau der kommunistischen Gesellschaft in unserem Lande.”

Erst ganz am Ende eines anderen schwergewichtigen Werkes, das mit der Universität Leipzig aufs Engste verbunden ist, stand wiederum der Begriff „Heimat”. Im dritten Band des „Prinzips Hoffnung”, der zu einem Zeitpunkt erschien, als Ernst Bloch schon auf Drängen der SED-Führung emeritiert worden war, schrieb der Philosoph: „Die Wurzel der Geschichte aber ist der arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten umbildende und überholende Mensch. Hat er sich erfasst und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.”

Heimat nicht als Herkunft, sondern als Zukunft des die Entfremdung überwindenden Menschen, das war eine Vorstellung, die auch die Idee der „sozialistischen Heimat” bestimmte – aber nicht als utopische Projektion wie bei Ernst Bloch, sondern als idealisierte Beschreibung der von den Zwängen des Kapitalismus befreiten Menschen im realen Sozialismus der DDR. Die Ausprägung dieses sozialistischen Verständnisses von Heimat ist nur zu verstehen, wenn man sich die Interaktion zwischen kulturpolitischen Idealen und gesellschaftlichem Handeln vergegenwärtigt.

Heimat war keine Erfindung der SED, sondern hatte eine lange Tradition, auf die die DDR-Kulturpolitiker Bezug nehmen mussten. Gleichzeitig beschrieb sie ein Feld, auf dem ideologisch determinierte Deutungen von gesellschaftlichen Akteuren phasenweise so eigen-sinnig angeeignet wurden, dass von ihren kulturpolitischen Intentionen kaum noch etwas übrig blieb. Jan Palmowski analysiert dieses Verhältnis in seiner vor vier Jahren erschienenen Studie „Inventing a Socialist Nation” als ein Wechselspiel von herrschaftsstabilisierenden Loyalitätsbekundungen und praktiziertem Eigen-Sinn. Heimat und Sozialismus schlossen sich keinesfalls aus, auch wenn sich aus ihrem Verhältnis bis zum Ende der DDR immer wieder Spannungen und Irritationen ergaben. Sowohl in der Propaganda als auch im Alltag gab es breite Überschneidungen, die an ältere Entwicklungen anknüpften.

Der folgende Beitrag konzentriert sich auf die Genese des sozialistischen Heimatbegriffs und wird nach einigen kursorischen Bemerkungen zu den 1960er und 1970er Jahren noch einen Ausblick auf die Entwicklung in den 1980er Jahren geben.

I.

Die Anfänge des sozialistischen Heimatbegriffs lassen sich bis ins Frühjahr 1950  zurückverfolgen und waren eng mit der Organisation der Natur- und Heimatfreunde verbunden. Diese knüpften zwar dem Namen nach an die „Naturfreunde“-Organisation der deutschen Arbeiterbewegung an, hatten aber in der Transformationsphase der späten 1940er und frühen 1950er Jahre eine ganz andere Funktion als vor 1933. Ihre wichtigste Aufgabe bestand nun darin, eine Dachorganisation für die Mitglieder aus den Vereinen und Verbänden der ehemaligen Heimatbewegung zu schaffen.

Das traditionelle Vereinswesen war mit Kriegsende und dem Einmarsch der Roten Armee nicht verschwunden, sondern existierte in der rechtlichen Grauzone der Nachkriegsjahre weiter. Nur einzelne Kategorien von Vereinen waren aufgrund von Kontrollrats-Direktiven und SMAD-Befehlen verboten worden. Dazu zählten die Gebirgs- und Wandervereine, die sich der NS-Reichsbund für Leibesübungen einverleibt hatte, und die nur formal als Vereine geführten Gauheimatwerke, die faktisch Kulturorganisationen der NS-Gauleitungen gewesen waren.

Obwohl es keine besatzungsrechtliche Grundlage für ein generelles Vereinsverbot gab, wurde die unsichere Rechtslage zunehmend zu einem Problem, da die neuen kommunistischen Machthaber abgrundtiefes Misstrauen gegen das traditionelle bürgerliche Vereinswesen hegten. Wie es in einem Schreiben der Berliner Volksbildungsabteilung vom August 1945 hieß, waren „die üblichen Vereine […] Schlupfwinkel für Elemente, die dem neuen Aufbau entgegenstehen”. Um „unsere vom faschistischen Denken durchsetzten Menschen […] auf allen Gebieten” antifaschistischdemokratisch auszurichten, müsse daher die deutsche „Vereinsmeierei” überwunden und die gesamte Kulturarbeit amtlich gelenkt werden.

Galten bürgerliche Vereine schon grundsätzlich als Gefahrenquelle für den sozialistischen Aufbau, so wurde den Vereinen und Verbänden aus dem Umkreis der deutschen Heimatbewegung zusätzlich zur Last gelegt, dass sie vor ihrer historischen Verantwortung versagt hätten, da sie mit ihren Heimatvorstellungen reaktionären und chauvinistischen Tendenzen Vorschub geleistet hätten. Suspekt war den kommunistischen Kulturfunktionären zudem die regionale Orientierung der Heimatorganisationen, die sie einseitig mit Separatismus und entsprechenden politischen Bestrebungen in den westlichen Besatzungszonen identifizierten.

Die entscheidenden Weichenstellungen zur Ausschaltung autonomer Vereinsstrukturen erfolgten seit 1948, allerdings nicht ohne gleichzeitig eine Perspektive zu entwickeln, wie die Aufgaben der Heimatbewegung zukünftig in neuem organisatorischen Rahmen fortgeführt werden sollten. So hieß es in einem Schreiben des sächsischen Volksbildungsministers Helmut Holtzhauer: „Die positiven Gedanken des Heimatschutzes werden selbstverständlich vom Ministerium für Volksbildung aufs lebhafteste gefördert. Geeignete Träger dieser Gedanken sind die volksbildenden Gruppen, die sich teils um wissenschaftliche Institute, teils im Rahmen kultureller Organisationen, wie z.B. dem Kulturbund sammeln.”

Zum Abschluss kamen diese Pläne erst im Januar 1949, als mit einer gemeinsamen Verordnung der Deutschen Verwaltungen des Innern und für Volksbildung das gesamte unabhängige Vereinswesen in die bestehenden Massenorganisationen überführt wurde. Obwohl in den Kulturbund zahlenmäßig weniger Vereine integriert wurden als in den FDGB oder in die FDJ, traf ihn die Veränderung nachhaltiger und härter als die anderen Massenorganisationen.

Entgegen seinem offiziellen Profil als „Organisation der Intelligenz” hatte sich der Kulturbund schon in den vorangegangenen Jahren zu einer Dachorganisation für eine bunte Palette kultureller Aktivitäten entwickelt. Hatten die Kulturbund-Leitungen vor 1949 auf eine Übernahme der unabhängigen Vereine gedrängt, fehlte ihnen, als sie unmittelbar mit der neuen Aufgabe konfrontiert wurden, jedes Konzept, wie sie die neuen Mitglieder einbinden sollten. Erst jetzt merkten sie, welche Risiken das mit sich brachte. Habe man in den vergangenen Jahren erfolgreich gegen die „Vereinsmeierei” angekämpft, so Klaus Gysi als Kulturbund-Bundessekretär im März 1949, werde man „jetzt wahrscheinlich noch einmal ein Stück zurückgeworfen werden […]. Das führt uns etwas auf die Bedingungen zurück, unter denen wir einmal unsere Arbeit begonnen haben.”Und der sächsische Landessekretär Karl Kneschke wurde noch deutlicher, als er erklärte: „Alle diese Gruppen haben eine langjährige Tradition und haben teilweise unter dem Naziregime weitergearbeitet. Die Traditionen sind selten demokratisch und fortschrittlich, vielmehr aber Vereinstraditionen, Liebhabertraditionen, die oft mit sektiererischem Inhalt verbunden sind.”Kneschke wusste, wovon er sprach, denn er hatte schon seit 1946 versucht, die sächsische Kulturbund-Organisation auf Linie zu bringen.

Dass gerade Karl Kneschke zum Vater der „Natur- und Heimatfreunde”Bewegung in der DDR und letztlich auch zum Erfinder des DDR-spezifischen sozialistischen Heimatbegriffs werden sollte, ist ebenso überraschend wie vielsagend. Als er im Februar 1946 von der Bundesleitung in Dresden eingesetzt worden war, um die unbotmäßige Landesleitung auf Vordermann zu bringen, gehörte er zu den radikalen Verfechtern unitaristischer Kulturvorstellungen. Im völligen Einklang mit der Linie der Partei stand er den Vereinen und Verbänden der Heimatbewegung nicht nur wegen ihrer konservativen Grundhaltung, sondern genauso wegen ihrer regionalen Orientierung mit großer Distanz gegenüber. Als die Heimat-, Gebirgs- und Volkskunstvereine seit Januar 1949 in den Kulturbund übernommen und als lokale Arbeitsgemeinschaften der „Natur- und Heimatfreunde” organisiert wurden, war sich Kneschke nur allzu gut bewusst, dass die eigentliche Integrationsleistung erst noch bevorstand.

Mit der Übernahme des unabhängigen Vereinswesens hatten sich die Massenorganisationen in die Gesellschaft geöffnet, um diese im Sinne der Parteilinie kontrollieren, schrittweise transformieren und letztlich für die Ziele des sozialistischen Aufbaus mobilisieren zu können. Das bedeutete aber im Gegenzug, ganz heterogene gesellschaftliche Interessen in zentral gelenkte Massenorganisationen aufzunehmen, die ihrerseits einen klaren kultur- und gesellschaftspolitischen Auftrag hatten. Diesen durchzusetzen, erwies sich im Kulturbund als besonders schwierig. Da die Mitarbeit in den Arbeitsgemeinschaften im Kulturbund auf Freiwilligkeit beruhte, halfen im Konfliktfall auch keine noch so ausgeklügelten Anleitungs-, Kontroll- und Sanktionsmechanismen. Immer wieder ist in Berichten aus den 1950er Jahren von Arbeitsgemeinschaften die Rede, die den Kulturbund verließen, wenn sie sich gegängelt fühlten, noch viel häufiger allerdings sind Berichte von Kulturbund-Gruppen, die zentrale Anweisungen schlicht ignorierten oder geschickt unterliefen, indem sie sich offiziell zu ihnen bekannten, sie aber äußerst eigen-sinnig interpretierten.

Um zu verhindern, dass der Kulturbund mit einem Schlag zu einer reinen Dachorganisation wurde, formulierte Kneschke – nun schon als Bundessekretär – Anfang 1950 kulturpolitische Leitsätze, die sich speziell an die neuen „Natur- und Heimatfreunde”-Arbeitsgemeinschaften richteten. In den meisten Punkten nahmen die Leitsätze bereits das vorweg, was seit 1958 als sozialistischer Heimatbegriff propagiert wurde. Manche Versatzstücke von Kneschkes Argumentation griffen traditionelle Vorstellungen der deutschen Heimatbewegung auf, stellten diese aber in einen neuen Zusammenhang. So erklärte er: „Die Wurzel jeden Volkes aber liegt in dem Raum, auf dem es lebt, liegt in der Natur und seiner Heimat. Natur und Heimat sind also feststehende Begriffe für jeden einzelnen Menschen. Die Natur ist ein Teil unseres Lebens, die Heimat Teil unseres geistigen, werktätigen und kulturellen Schaffens. Beides gehört uns also gemeinsam, beides bildet die gesellschaftliche Plattform des gemeinsamen Zielen zustrebenden Volkes.”

Wahrscheinlich hätten ihm die meisten Anhänger der traditionellen Heimatbewegung bis zu diesem Punkt folgen können, aber Kneschke fuhr fort: „Nach der politischen Wandlung, nach der Enteignung der Junker und Kriegsverbrecher, der Konzerne und Monopolkapitalisten ist unsere Heimat mit all ihren Kostbarkeiten und Schönheiten in den Besitz des gesamten Volkes übergegangen. […] Unsere Liebe zur Natur steigerte sich also seitdem – unsere Liebe zu unserem Land, unserem Volk und seinem gesamten Eigentum.”12 Nach dieser Definition waren „Natur” und „Heimat” nicht nur losgelöst von regionalen Orientierungen, sie standen auch in einem engen logischen Zusammenhang zur Durchsetzung des Volkseigentums in der DDR.

Auf der ersten „Natur- und Heimatfreunde”-Konferenz, die kurz darauf in Bautzen stattfand, leitete Kneschke daraus die Aufgabe ab, „das ganze Volk, das schaffende Volk, das kämpfende Volk zu erfassen, die Liebe zur Heimat und zum Frieden zu vertiefen, die Pflege und den Schutz der Heimat als eine Sache des Volkes zu propagieren und alle Menschen zur Mitarbeit aufzurufen.” Die Arbeitsgemeinschaften sollten „nach neuer Art und neuen Grundsätzen, […] im Geiste unseres neuen gesellschaftlichen Lebens, im demokratischen Geiste ihre Arbeit fortsetzen, neue Menschen zur Heimatliebe erziehen, neue Mitarbeiter gewinnen und ein dichtes Netz der Natur- und Heimatfreunde über das ganze Land ziehen […].”Auffällig ist hier die gehäufte Verwendung des Adjektivs „neu”, das eine klare Abgrenzung von der alten – bürgerlichen – Heimatbewegung bzw. den Heimatvereinen in der Bundesrepublik implizierte. Kneschke ließ schon zu diesem frühen Zeitpunkt keinen Zweifel daran, dass die Heimatliebe in der DDR kein Selbstzweck war. Sie sollte die Natur- und Heimatfreunde nicht nur für den Aufbau der neuen gesellschaftlichen Ordnung mobilisieren, sondern sie auch zu ihrer Verteidigung aufrufen.

Der grundsätzliche Anspruch, die neuen Arbeitsgemeinschaften anleiten und kontrollieren zu können, leitete sich daraus ab, dass sie als integrale Bestandteile des Kulturbunds auf dessen kulturpolitische Ziele verpflichtet waren. Zwar unterschieden sich die Aufgabenfelder der „Naturund Heimatfreunde” grundlegend von denen einer „Organisation der Intelligenz”, aber das hinderte die Kulturbund-Leitungen nicht daran, im Rahmen der von Kneschke abgesteckten Ziele Leitsätze und Aufgaben zu formulieren. Diese waren zwar auf das Profil der neuen Arbeitsgemeinschaften zugeschnitten, sie waren deshalb aber nicht minder verpflichtend. Damit wurde die Durchsetzung der kulturpolitischen Leitlinien aber gleichzeitig auch zum Maßstab für den Erfolg oder Misserfolg der Kulturbund-Leitungen bei der Integration und Assimilation der ehemaligen Vereine aus der Heimatbewegung. Und trotz größter Anstrengungen fiel die Bilanz der Arbeit auf diesem Feld in den nächsten Jahren eher ernüchternd aus.

Für sich genommen war der Aufbau der „Natur- und Heimatfreunde”Bewegung im Kulturbund eine große Erfolgsgeschichte. In den 1950er Jahren expandierten ihre Arbeitsgemeinschaften ohne Ende. In vielen Ortsgruppen stellten die „Natur- und Heimatfreunde” bereits nach wenigen Jahren einen beträchtlichen Teil der Kulturbund-Mitglieder, sehr oft auch den aktivsten. Vor allem in den ländlichen Gemeinden erlebte der Kulturbund einen unerwarteten Aufschwung, den er fast ausschließlich den „Natur- und Heimatfreunden” zu verdanken hatte. Selbst wenn sich Lehrer, Ärzte oder andere Vertreter der „Intelligenz” in den ländlichen Ortsgruppen engagierten, sahen auch diese nicht selten ihren Platz in den „Naturund Heimatfreunde”-Arbeitsgemeinschaften.

Damit drohte der Kulturbund aber sein Profil und seine Legitimation als „Organisation der Intelligenz” vollends zu verlieren. Selbstkritisch musste Johannes R. Becher in seiner Funktion als Präsident des Kulturbunds 1952 konzedieren, dass der Kulturbund zu einer „AllesbetreuerOrganisation” verkommen sei. Gegen wen sich diese Äußerung richtete, wird deutlich, wenn man sich anschaut, dass genau in dieser Zeit die Rolle der „Natur- und Heimatfreunde” in der Selbstdarstellung des Kulturbunds auf ein Minimum reduziert wurde. Im Vorfeld der II. SED-Parteikonferenz, die im Juli 1952 in Berlin stattfand, wäre es den Kulturbund-Leitungen am liebsten gewesen, sich wieder völlig auf das Kerngeschäft der „IntelligenzArbeit” zu konzentrieren und die ungeliebten Mitglieder aus den ehemaligen Heimatvereinen nur noch unter „ferner liefen” zu führen.

Was die „Natur- und Heimatfreunde“-Bewegung in dieser Situation rettete, war nicht nur ihre starke Stellung in den Kulturbund-Ortsgruppen, sondern paradoxerweise die II. Parteikonferenz selber. Obwohl er faktisch schon längst begonnen hatte, propagierte die Parteiführung auf dieser Tagung den Aufbau des Sozialismus, der nun forciert und planmäßig durchgeführt werden sollte. Die II. Parteikonferenz bildete damit den Auftakt der ersten großen Staatskrise der DDR, die sich vor 60 Jahren im Aufstand des 17 . Juni entlud.

Um alle gesellschaftlichen Kräfte für den Aufbau des Sozialismus zu mobilisieren, wurde auf der II. Parteikonferenz auch der „Zwickauer Plan” verabschiedet, der darauf abzielte, „die Massen mit sozialistischem Bewusstsein zu erfüllen”. Dazu sollten unter anderem auch eine größere Aufmerksamkeit für die Schätze der Vergangenheit, die „Liebe zur Heimatgeschichte” und die Wiederbelebung der Volkskultur dienen. Gerade in dieser Phase einer extremen politischen Radikalisierung erhielten die „Natur- und Heimatfreunde” mit dem Auftrag, zum „sozialistischen Patriotismus” beizutragen, eine neue Legitimationsgrundlage, die es den Kulturbund-Leitungen unmöglich machte, sie dauerhaft zu marginalisieren.

Die kurzzeitige kulturpolitische Öffnung im Zeichen des „Neuen Kurses” schuf seit 1953 sogar neue Freiräume, die von den Arbeitsgemeinschaften teilweise extensiv genutzt wurde. So wurden zentrale Vorgaben auf Orts- und Kreisebene oft sehr „eigen-sinnig” interpretiert und so stark mit eigenen Ideen angereichert, dass sie nur noch wenig mit den kulturpolitischen Leitvorstellungen des Kulturbunds zu tun hatten. Stattdessen knüpften sie oft direkt an die Traditionen der alten Heimatvereine an.

Das galt in gewisser Weise auch für die regionalen Heimatzeitschriften, die seit Mitte der 1950er Jahre mit dem offiziellen Segen der KulturbundLeitungen für die Territorien der de facto 1952 aufgelösten Länder der DDR geschaffen wurden. Zwar traten diese Zeitschriften mit dem Anspruch an, die Heimatverbundenheit ihrer Leser in Loyalität gegenüber der DDR und Engagement für den sozialistischen Aufbau umzumünzen, aber vergleicht man die kulturpolitischen Beiträge mit der Masse der Aufsätze, so spiegelten die Zeitschriften in den 1950er Jahren weitaus stärker die Interessen der „Natur- und Heimatfreunde“-Arbeitsgemeinschaften als die Intentionen der Kulturbund-Leitungen wider. Genau das sollte den meisten regionalen Heimatzeitschriften allerdings das Genick brechen, als im Vorfeld des V. SED-Parteitags vom Juli 1958 wieder die kulturpolitischen Daumenschrauben angezogen wurden.

In diese Phase fiel die endgültige Definition des sozialistischen Heimatbegriffs, und erneut war es Karl Kneschke, der die Debatte prägte. Hatte er in seiner früheren Argumentation die regionale Orientierung der meisten „Natur- und Heimatfreunde” einfach übergangen, so setzte er sich nun explizit mit dem Verhältnis von „kleiner” und „großer” Heimat auseinander. Dabei erkannte er die Bedeutung der „kleinen Heimat” an, die „für den einfachen Menschen überschaubar” sei, ging aber von einem Ideal aus, in dem sich „kleine” und „große” Heimat harmonisch zusammenfügten. Wie er behauptete, war diese ideale Einheit mit der Reichsgründung und der nachfolgenden regionalistischen Orientierung der deutschen Heimatbewegung zerbrochen. Erst in der DDR, so seine Argumentation, ließ sie sich wieder herstellen: „Es ist die Liebe zum Aufbau des Sozialismus in unserem Arbeiter-und-Bauern-Staat, der seinen Bürgern Arbeit und Brot, die Sicherheit vor Wirtschaftskrisen und soziale Hilfe garantiert, der für den Frieden eintritt, allein und in Gemeinschaft mit allen friedliebenden Völkern. Bei uns kann sich die Liebe zur kleinen Heimat mit der Liebe zur großen Heimat, unserer sozialistischen Heimat, unserer Deutschen Demokratischen Republik vereinigen”, so Kneschke.

Damit wurde ein scharfer Kontrast zur westdeutschen Heimatbewegung aufgebaut, deren Heimatverständnis nicht nur mit „Vereinsmeierei” und „Heimattümelei”, sondern – quasi als Spiegelbild der antifaschistischen Standortbestimmung der DDR – auch mit „Deutschtümelei”, „Nationalismus” und „Chauvinismus” identifiziert wurde. Indem die Heimatbewegung in der Bundesrepublik sowohl für die „Katastrophe des 2. Weltkrieges” als auch für die Außenpolitik der Bundesregierung verantwortlich gemacht wurde, sollte allen Ambitionen der ostdeutschen „Natur- und Heimatfreunde”, über die Zonengrenze zu schielen, ein Riegel vorgeschoben werden. Nach der Definition des sozialistischen Heimatbegriffs war ihre Heimat in der DDR, hier sollten sie bleiben und am Aufbau des Sozialismus mitwirken.

In den 1950er Jahren schien dieses Konzept sogar ansatzweise aufzugehen. Dank ihrer relativ großen Handlungsspielräume boten die Arbeitsgemeinschaften auch jenen Menschen, die sich ihrem als Heimat wahrgenommenen sozialen und geografischen Nahraum verbunden fühlten, aber ansonsten wenig mit der sozialistischen Ordnung der DDR anfangen konnten, die Möglichkeit, in einer offiziell anerkannten Massenorganisation mitzuwirken, dort aber im Kreis Gleichgesinnter vor allem eigene Interessen zu verfolgen. Das trug nicht nur zu ihrer Beheimatung in der DDR bei, sondern konnte indirekt auch dem sozialistischen Aufbau zugutekommen. Das beste Beispiel dafür war der Dorfverschönerungswettbewerb, der 1955  unter dem Titel „Das schöne Dorf” startete, dann zum „sozialistischen Dorf” mutierte und schließlich in die „Mach mit!”-Bewegung einmündete. Der Wettbewerb war Teil des Nationalen Aufbauwerks, mit dem die DDRBürger für den sozialistischen Aufbau mobilisiert werden sollten. In dem zunächst von den „Natur- und Heimatfreunden” getragenen Dorfverschönerungswettbewerb gelang das in geradezu vorbildlicher Weise, weil hier in der Tradition der ehemaligen Heimatvereine bürgerschaftliches Engagement für das eigene Lebensumfeld gefragt war. Damit eröffneten sich dem Einzelnen neue Gestaltungsspielräume. Heimatverbundenheit, gesellschaftliches Engagement und die Verankerung der „Natur- und Heimatfreunde” in den Gemeinden bestärkten sich wechselseitig und sorgten in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre nicht nur für den wichtigsten Beitrag des Kulturbunds zum „Nationalen Aufbauwerk”, sondern auch für einen weiteren Aufschwung der Organisation.

Diese dynamische Bewegung fand jedoch ein jähes Ende, als der Dorfverschönerungswettbewerb im Zuge der generellen Kursänderung vor dem V. Parteitag im Juli 1958 von der Nationalen Front übernommen und für die Propagierung der Vollkollektivierung der Landwirtschaft in Dienst genommen wurde. Ganz offensichtlich stellten viele „Natur- und Heimatfreunde” ihre Mitarbeit sofort ein, als sie den Eindruck gewannen, dass ihre Interessen keine ausreichende Berücksichtigung mehr fanden. War es in der ersten Phase des Wettbewerbs noch das Ziel gewesen, die „Naturund Heimatfreunde“-Arbeitsgemeinschaften über die praktische Arbeit an die kulturpolitischen Ziele der SED heranzuführen, so erreichten die direkten politischen Eingriffe das genaue Gegenteil. Der Zweck, die Heimatverbundenheit der in den Arbeitsgemeinschaften organisierten Menschen zu nutzen, um sie langfristig für die sozialistische Ordnung der DDR zu gewinnen und kurzfristig von möglichen Fluchtabsichten abzubringen, wurde damit verfehlt.

II.

Es war kein Zufall, dass der „Natur- und Heimatfreunde”-Organisation 1958  die Zuständigkeit für den Dorfverschönerungswettbewerb entzogen wurde. Die Entscheidung hing zum Teil mit neuen ökonomischen Prioritäten zusammen, mindestens ebenso aber mit der Einsicht der KulturbundLeitungen, dass sich die örtlichen Arbeitsgemeinschaften und ihre Kreisorganisationen einer kulturpolitischen Steuerung mit zunehmendem Erfolg entzogen. Pläne von 1959, sie ganz aus der „Organisation der Intelligenz” auszuschließen, wurden schließlich fallengelassen, weil der Kulturbund damit seine personelle Substanz in der Fläche verloren hätte und die „Natur- und Heimatfreunde”-Bewegung vollends unkontrollierbar geworden wäre. Damit blieb es – bis zum Ende der DDR – bei der 1949/50 angelegten Grundstruktur einer in den Kulturbund integrierten sozialistischen Heimatbewegung, die einerseits in zentrale Anleitungsstrukturen eingebunden war, sich aber andererseits in ihrer praktischen Arbeit ein beträchtliches Maß an Autonomie bewahrte.

Einschränkungen politischer Art ergaben sich in den 1960er und 1970er Jahren nicht zuletzt aus der Abschaffung vieler Heimatzeitschriften, zu denen neben den meisten regionalen Periodika auch das zentrale Organ der Arbeitsgemeinschaften, die Zeitschrift „Natur und Heimat”, gehörte. Diese wurde 1962 – zehn Jahre nach ihrem ersten Erscheinen – wieder eingestellt. Im Hintergrund stand hier offensichtlich das Bestreben, die Heimat- und Regionalforschung von ihrem Ruch der „Heimattümelei” zu befreien und auf eine wissenschaftliche Grundlage zu stellen, denn zeitgleich wurde unter der Ägide der Leipziger Universität die Arbeitsgemeinschaft „Heimat- und Landesgeschichte” in der Deutschen Historiker-Gesellschaft der DDR gegründet. 1965 folgte die erste Ausgabe des „Jahrbuchs für Regionalgeschichte”. Diese Neuorientierung bildete zusammen mit den Postulaten des sozialistischen Heimatbegriffs die kulturpolitischen Rahmenbedingungen der „Natur- und Heimatfreunde”-Arbeitsgemeinschaften bis in die späten 1970er Jahre.

Auch die Gründung der Gesellschaft für Heimatgeschichte im Januar

1979  diente vorrangig dem Zweck, „die heimatgeschichtliche Arbeit des Kulturbunds in die Gesamtkonzeption der Geschichtswissenschaft der DDR auf dem Gebiet der regionalgeschichtlichen Forschung und Propaganda einzuordnen,” so die entsprechenden Leitsätze des KulturbundPräsidiums. Diese Verwissenschaftlichung im Sinne des historischen Materialismus, die sich die Kulturbund-Leitungen schon seit den Anfängen der „Natur- und Heimatfreunde”-Bewegung auf die Fahnen geschrieben hatten, blieb aber auch in den 1980er Jahren holde Theorie.

Jetzt kam erschwerend hinzu, dass sich in der Ära Honecker mit der „Erbe und Tradition”-Debatte immer neue Themenfelder erschlossen, die gerade aus regionaler und lokaler Perspektive von großem Interesse waren und de facto auch schon in den vorangegangenen Jahrzehnten zu den bevorzugten Interessengebieten der „Natur- und Heimatfreunde” gehört hatten. Während sich die SED-Führung in den 1970er und 1980er Jahren auf den Standpunkt stellte, dass das gesellschaftliche Engagement im Nahraum der Heimat grundsätzlich ein Ausdruck des gelebten „realen Sozialismus” war, entglitten die Arbeitsgemeinschaften immer weiter der zentralen Anleitung und Kontrolle. Jan Palmowski macht am Beispiel der in den späten 1960er Jahren wiederbelebten „Mach mit!“-Bewegung sehr schön deutlich, dass sich im lokalen Rahmen mit dem Wettbewerb Freiräume eröffneten, die zwar mit ritualisierten Loyalitätsbekundungen einhergingen und insofern herrschaftsstabilisierend wirkten, gleichzeitig aber selbstbestimmtes Handeln im Rahmen lokaler Netzwerke einübten und damit die Grundlagen für die gesellschaftliche Selbstermächtigung in der Friedlichen Revolution von 1989 und der nachfolgenden Transformation schufen.

III.

Kehren wir noch einmal zur Ausgangsfrage zurück, welche Spielräume sich in der DDR zu unterschiedlichen Zeiten unter dem Dach des dem offiziellen sozialistischen Heimat-Begriff verpflichteten Kulturbunds ergaben. Der in den 1950er Jahren von Kulturfunktionären der SED formulierte und propagierte sozialistische Heimat-Begriff grenzte sich scharf von traditionellen, auf geografische Räume bezogenen und gesellschaftliche Konflikte überwölbenden Heimatvorstellungen ab. War die Machtfrage aber erst einmal entschieden, der Klassenkampf gewonnen und das ganze Land in Volkseigentum überführt, ließen sich auch die kommunistischen Machthaber nicht die Gelegenheit entgehen, an die Heimatverbundenheit vieler Menschen in den Städten und Regionen der DDR anzuknüpfen, um diese, wie sie hofften, in Identifikation mit dem neuen Staat und seiner Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung umzumünzen. Dieses Konzept lebte von der Hoffnung, dass letztlich auch unpolitische Heimatliebe ein wichtiges Motiv dafür sein konnte, in der DDR zu bleiben und sich zumindest für die praktischen Aspekte des sozialistischen Aufbaus zu engagieren.

Die kulturelle Praxis der lokalen Natur- und Heimatfreunde-Arbeitsgemeinschaften in den 1950er Jahren lässt darauf schließen, dass diese Erwartungen nicht völlig aus der Luft gegriffen waren. Die Entwicklung in den 1980er Jahren weist indes darauf hin, dass die wachsenden Freiräume für die Heimatbewegung im Kulturbund – im Kontext der „Erbe und Tradition”-Debatte – zu einer Aushöhlung des staatlichen Deutungsmonopols beitrugen. Wenn man auch grundsätzlich davon ausgehen kann, dass Heimatverbundenheit die Bereitschaft zum Bleiben stärkt, sorgten doch die Verschärfung des politischen Klimas Ende der 1950er Jahre und die finale Staats- und Wirtschaftskrise der DDR in den späten 1980er Jahren dafür, diese eher unkonventionellen Ansätze zu einer Stabilisierung der sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung zunichte zu machen.