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Frieden schaffen – nur mit Waffen?

Wehrerziehung und Wehrdienstverweigerung in der DDR

Johanna Geyer

1 . EINLEITUNG

Die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Nationalen Volksarmee (NVA) ist für mich auch eine Auseinandersetzung mit meiner Familiengeschichte: Mein Vater, Hartmut Geyer, diente in der Nationalen Volksarmee der Deutschen Demokratischen Republik als Berufssoldat, zuletzt im Range eines Majors. Er machte eine gute Karriere, wurde stetig befördert und zum Studium nach Moskau delegiert. Wir lebten in einem Wohnblock mit anderen Armeefamilien; Männer in Uniform waren in meiner Kindheit also eher die Regel als die Ausnahme.

Als mein Vater dafür unterschrieb, 25 Jahre lang in der NVA zu dienen, war er 16 Jahre alt. In diesem Alter fällt es den meisten Jugendlichen schwer, sich diese Zeitspanne auch nur vorzustellen. Die erste Frage, die ich mir gestellt habe, lautet daher: Wie hat es die DDR geschafft, dass sich junge Männer für die Armee verpflichten, ob nun für anderthalb, für drei oder eben für 25 Jahre?

Daran schließt sich die zweite grundlegende Frage dieses Beitrags an: Welche Möglichkeiten gab es für diejenigen, die den bewaffneten Dienst ablehnten? Heute ist die Alternative eines waffenlosen Ersatzdienstes in vielen Ländern mit Wehrpflicht eine gelebte Selbstverständlichkeit; wie stand es damit in der DDR? Wie ging der Staat mit denjenigen um, die sich der „Ehrenpflicht zur Verteidigung des Vaterlandes“ entziehen wollten? Was waren die Motive für die Verweigerung des Waffendienstes?

Zu all diesen Fragen habe ich meinen Vater interviewt. Seine Aussagen sind den jeweiligen Abschnitten in Kursivschrift vorangestellt. Es handelt sich selbstverständlich um eine individuelle Einzelmeinung. Ich kann weder beurteilen, ob und inwieweit sie typisch für die Ansichten von NVA-Angehörigen ist, noch kann ich ausschließen, dass die historischen Entwicklungen seit dem Jahr 1989, soziale Erwünschtheit und die Tatsache, dass das Interview von Tochter und Vater geführt wurde, zu Verzerrungen geführt haben. Es ging mir lediglich darum, den Fakten eine möglichst authentische Stimme aus dem Inneren des Systems NVA gegenüberzustellen, und das ohne jede Wertung.

Zu Beginn gehe ich der grundlegenden Frage nach, warum die DDR, die sich so gern als das bessere, friedliebende Deutschland gerierte, so stark militarisiert war. Nach einer kurzen Chronologie der Wiederbewaffnung der DDR beschäftige ich mich mit der sozialistischen Wehrerziehung, die in der DDR, überspitzt formuliert, „von der Wiege bis zur Bahre“ reichte.

Im zweiten Komplex, der sich mit dem waffenlosen Wehrersatzdienst und der Totalverweigerung befasst, wird zunächst der Unterschied zwischen diesen beiden Formen der Wehrdienstverweigerung dargestellt; dann werden die gesetzlichen Grundlagen des waffenlosen Wehrersatzdienstes beleuchtet und die Motive der sogenannten Bausoldaten sowie die Auswirkungen ihres Dienstes untersucht.

2 . ANTIMILITARISMUS UND ARMEE – EIN PARADOXON?

2.1  Militarisierter Sozialismus in der DDR?

Die Deutsche Demokratische Republik wird „…als eine der am stärksten militarisierten Gesellschaften der neueren Geschichte…“beschrieben. „Militarisiert“ bedeutet, dass entsprechende Prozesse oder empirisch belegbare Tendenzen vorliegen, die den ge- oder übersteigerten Stellenwert des Militärs in der Gesellschaft belegen.

In der DDR

waren sowohl der äußere wie auch der innere Sicherheitsapparat überdimensioniert;

gab es eine enge Verflechtung von Militär und Erziehungsinstitutionen; sollten möglichst alle Gesellschaftsbereiche in die militärischen und paramilitärischen Institutionen eingebunden werden, um Disziplin und soziale Kontrolle zu gewährleisten;

sollte die Hierarchisierung der Gesellschaft durch die Anwendung militärischer Strukturen und Prinzipien erreicht werden;

wurden große Anstrengungen zur militärischen Indoktrination unternommen;

wurden militärische Rituale und Tugenden in der Öffentlichkeit gepflegt.

Ein solches System existierte in allen sozialistischen Staaten; daher setzte sich in der westlichen Forschung der Begriff des „militarisierten Sozialismus“ durch. Die Militarisierung der Gesellschaft war in den einzelnen Ländern jedoch unterschiedlich stark ausgeprägt.

Die DDR wies in Bezug auf die Streitkräfte und die paramilitärischen Verbände den höchsten Erfassungsgrad im gesamten Warschauer Pakt auf.Seit der Aufstellung der regulären Armee hatten rund 2,5 Millionen Wehrpflichtige bei der Volksarmee beziehungsweise bei den Grenztruppen gedient; hinzu kamen 430.000 hauptamtliche Mitarbeiter bei den bewaffneten Organen sowie die Einbindung eines erheblichen Bevölkerungsanteils in (para)militärische Verbände wie die Gesellschaft für Sport und Technik (GST), die Kampfgruppen der Arbeiterklasse, die Volkspolizeibereitschaften, die Betriebskampfgruppen, die Zivilverteidigung oder die Reservistenkollektive. In den späten 1980er Jahren betrug die Zahl der in (para)militärischen Verbänden aktiven Bürger rund 2 Millionen.

Welchen Stellenwert die DDR dem Militärbereich beimaß, lässt sich auch am Umfang der verwendeten Mittel ablesen. Die folgende Grafik bildet die absoluten Ausgaben für Militär und Sicherheitsbereiche für die DDR und – zum Vergleich – für die BRD ab:

Zuschüsse für Militär und Sicherheitsbereiche

Eigene Darstellung nach Quellen: Diedrich, Ehlert, Wenzke (1998); Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland; Statistisches Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik

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Diese Zahlen sind jedoch „mit Vorsicht zu genießen“. In der DDR wurden die offiziellen Verteidigungs- und Sicherheitsausgaben nachweislich um 20 bis 30 Prozent zu niedrig angegeben.Die oben stehenden Angaben für die DDR decken sich mit den erhalten gebliebenen Angaben aus dem geheimen Staatshaushalt der DDR, daher können sie als belastbar angesehen werden.Für die BRD sind die Daten den Statistischen Jahrbüchern entnommen; wie genau sie sind, lässt sich ebenfalls nur schwer beurteilen.

Natürlich sind die absoluten Zahlen erst aussagekräftig, wenn sie in Beziehung zu den gesamten Ausgaben des Staates gesetzt werden. So vermittelt die oben abgebildete Grafik den Eindruck, die BRD hätte sehr viel stärker in Militär und Sicherheitsbereich investiert. In der Relation ergibt sich jedoch ein differenzierteres Bild: Mit der Einführung der Wehrpflicht 1964 stiegen die Verteidigungsausgaben der DDR, ab dem Ende der 1960er Jahre lagen sie im Verhältnis zu den Gesamtausgaben des Staatshaushalts höher als in der BRD, die ihr Militärbudget – nach anfänglich hohen Aufwendungen für den Aufbau der Bundeswehr – kontinuierlich senkte.

Zwar wurde auch der Verteidigungshaushalt der DDR, gemessen an den Gesamtausgaben, ab 1969 wieder kleiner, er blieb jedoch insgesamt auf einem höheren Niveau.

Anteil des Verteidigungsbudgets an Staatsausgaben in Prozent

Eigene Darstellung nach Quellen: Diedrich, Ehlert, Wenzke (1998); Statistisches Jahrbuch für die

Bundesrepublik Deutschland; Statistisches Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik

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2.2  Parteitheoretische Begründung

Die Deutsche Demokratische Republik legte Wert auf das Image des besseren, friedliebenden Deutschlands, das im Gegensatz zur Bundesrepublik keinerlei revanchistische oder imperialistische Ziele verfolge und den Militarismus des Westens entschieden ablehne.

Angesichts dieser Selbstdarstellung erscheinen die oben präsentierten Zahlen zur Militarisierung paradox. Aus Sicht der SED existierte hier jedoch kein Widerspruch zwischen Selbstbild und Wirklichkeit. In der Parteiideologie war Militarismus als eine Herrschaftsform definiert, die zur Aufrechterhaltung und Ausweitung der Herrschaft einer reaktionären Klasse dient. Da sich die DDR als klassenlose Gesellschaft betrachtete, konnte es per definitionem keinen sozialistischen Militarismus geben.

So schrieb Erich Honecker 1957: „Im Klassencharakter des Staates liegt auch letzten Endes die ausschlaggebende Begründung dafür, ob eine militärische Organisation oder Armee ihrem Wesen nach imperialistisch ist und dadurch aggressiv ist, (…) oder ihrem Wesen nach eine Armee ist, deren Interessen mit den Zielen des Kampfes der Arbeiterklasse und der übrigen Werktätigen übereinstimmen und die damit dem Frieden und Fortschritt dient.“

Diese Argumentation liefert auch die Basis für die Aussage, Pazifisten seien Friedensfeinde. So heißt es in einer Schulungslektion der Ost-CDU zum Beginn des Studienjahres 1961/62:

„Wer in Westdeutschland Pazifist ist, leiht wenigstens nicht seinen Arm der imperialistischen Eroberung, auch wenn er ihr nicht aktiv entgegentritt; wer aber hier Pazifismus vertritt, leistet – bewußt oder unbewußt – eben diesen imperialistischen Aggressionsgelüsten Vorschub, steht objektiv auf der Seite der Kriegs-

kräfte.“

2.3  Bedrohungsperzeption

„Die NATO war für uns der Feind. Wir haben immer mit einem Angriff gerechnet. Die haben ja auch Manöver direkt an unserer Grenze durchgeführt.“

Hartmut Geyer, Major der NVA a.D.

Die DDR betrachtete sich als Frontstaat im Kalten Krieg, der von imperialistischen Aggressoren bedroht ist. Insbesondere wurde angenommen, „(…) daß Westdeutschland als die Hauptbasis der NATO zu einem gefährlichen Kriegsherd geworden ist, von dessen Boden aus ein Atomkrieg vorbereitet wird.“Die Befürchtung, dass die NATO eine gewaltsame Lösung der deutschen Frage plane und versuche, die Stabilität der DDR zu untergraben, wurde durch Großmanöver des Nordatlantikpaktes an der innerdeutschen Grenze gesteigert.

Der Eindruck, ein Hotspot im Kalten Krieg zu sein, wurde durch die vorgeschobene Lage an der Grenze zwischen den Blöcken verstärkt. Zusätzlich heizte die Berlin-Frage die Befürchtung an, einen feindlichen „Brückenkopf“ im eigenen Land zu haben.

In den ersten Jahren der NVA erfüllte das Militär auch die Funktion, die sozialistische Gesellschaft gegen Angriffe von innen zu schützen. Insbesondere nach den Ereignissen im Oktober 1956 in Ungarn fürchtete die

Regierung „kontrarevolutionäre Elemente“, die Unruhen in der eigenen

Bevölkerung anzetteln könnten. Mit dem 1962 ergangenen Beschluss des Nationalen Verteidigungsrates, Militäreinheiten grundsätzlich nicht im Innern einzusetzen, kam man von dieser Aufgabenstellung jedoch ab.

2.4  Einfluss der Sowjetunion

Im April 1952 „empfahl“ Stalin der DDR-Führung, eine Armee von 300.000 Mann aufzubauen.Diese Entwicklung verblüfft angesichts der Tatsache, dass gut zehn Jahre zuvor eine deutsche Armee die UdSSR überfallen und unvorstellbare Gräuel und Verwüstungen angerichtet hatte. Dennoch war die Sowjetunion aus verschiedenen Gründen interessiert daran, ein eigenständiges ostdeutsches Heer aufzubauen.

Zum einen würde eine solche Armee als „Puffer“ gegen mögliche Angriffe aus dem Westen dienen, so dass die Rote Armee bei einem Überfall durch „imperialistische Aggressoren“ Unterstützung bei der Abwehr hätte und der Feind daran gehindert würde, zu schnell auf sowjetisches Territorium vorzudringen.Zum anderen sollte die ostdeutsche Armee auch nach innen die Vorherrschaft der sozialistischen Partei und damit den sowjetischen Einfluss in der Deutschen Demokratischen Republik absichern.

Dazu kam, dass die UdSSR ab der Mitte der 1950er Jahre gemäß ihrer Militärdoktrin ihre konventionellen Truppen reduzierte und die so entstandene Lücke von den Streitkräften der anderen Paktstaaten füllen ließ.

3. CHRONOLOGISCHER ABRISS DER WIEDER-

BEWAFFNUNG IN DER SBZ/DDR

Im Potsdamer Abkommen vom 02.08.1945 hatten die Siegermächte festgelegt, dass Deutschland völlig entwaffnet und entmilitarisiert werden soll. Trotzdem wurden am 24.07.1948, also noch vor der Gründung der DDR, bewaffnete Bereitschaftsverbände aufgestellt, die sogenannte Kasernierte Volkspolizei.

Am 18.01.1956 beschloss die Volkskammer das „Gesetz über die Schaffung der Nationalen Volksarmee und des Ministeriums für Nationale Verteidigung“ und schuf somit die Grundlage für den Aufbau der Armee.Diese rekrutierte sich zunächst aus Freiwilligen. Erst nach dem Bau der Berliner Mauer im Jahr 1961 – als sich die Wehrpflichtigen nicht mehr in den Westen absetzen konnten – wurde am 24.01.1962 das „Gesetz über die allgemeine Wehrpflicht“ verabschiedet, mit dem ein 18-monatiger Wehrdienst eingeführt wurde. Am 07.09.1964 folgte schließlich die „Anordnung über die Aufstellung von Baueinheiten“, die den waffenlosen Wehrersatzdienst ermöglichte – eine einzigartige Regelung im Bereich des

Warschauer Paktes.

Eine letzte Reform des Wehrdienstes erfolgte mit dem am 25.03.1982 erlassenen „Gesetz über den Wehrdienst in der Deutschen Demokratischen Republik“.

4 . SOZIALISTISCHE WEHRERZIEHUNG

Da in der DDR die meisten Frauen erwerbstätig waren (1986 besuchten nahezu 80 Prozent aller Kinder zwischen ein und drei Jahren eine Kinderkrippe), wurden die Kinder bereits vor der Einschulung in staatlichen Erziehungsinstitutionen betreut und zu „sozialistischen Persönlichkeiten“ erzogen.

Insbesondere unter Erich Honecker (Staatsratsvorsitzender 19761989)  wurde das System der Wehrerziehung ausgebaut und perfektioniert. Ziel der sozialistischen Wehrerziehung war es, Wehrbereitschaft und Wehrfähigkeit herzustellen. Die Wehrbereitschaft sollte durch ideologische Schulung von Kindern und Jugendlichen erreicht werden, die Wehrfähigkeit durch die Erhöhung der körperlichen Leistungskraft und die Vermittlung technischen Wissens.

4.1  Idealtypischer Ablauf

Im Folgenden ist der idealtypische Ablauf der Wehrerziehung – vom Kleinkind bis zum Berufstätigen – dargestellt, unterteilt nach den verschiedenen Erziehungsträgern und Altersgruppen. Dabei ist zu beachten, dass das System der Wehrerziehung auch Wandlungen unterworfen war und regional unterschiedlich umgesetzt wurde.

Kinderkrippe (bis 3 Jahre)

Bereits in der Kinderkrippe beginnt die sozialistische Wehrerziehung, indem den Kindern beigebracht wird, Gut und Böse zu unterscheiden. Grundmuster von Bedrohung und Schutz werden spielerisch eingeübt. Mit den ältesten Krippenkindern feiern die Erzieher den Tag der NVA.

Kindergarten (3 bis 6 Jahre)

Im Kindergarten werden traditionelle Sekundärtugenden eingeübt. Den Kindern werden Loyalität zur Heimat sowie ein positives Bild „unserer Soldaten“ vermittelt, zum Beispiel durch Kriegsspielzeug und speziell für Kinder entwickelte Medien wie die Zeitschrift „Bummi“. In der Kunsterziehung werden Militärthemen behandelt:  Es werden Volksarmisten gemalt, Bilder von Armeeangehörigen betrachtet, Lieder und Gedichte über tapfere Soldaten gelernt; Angehörige der Streitkräfte besuchen den Kindergarten.

1 . bis 4. Klasse (6 bis 10 Jahre )

Kurz nach Eintritt in die Polytechnische Oberschule (Jahrgangsstufe 1-10) erfolgt in der Regel die Aufnahme der Erstklässler in die Organisation der Jungpioniere. Hier werden Mut, körperliche Leistungsfähigkeit, Ordnungssinn und Disziplin vermittelt und mit dem Topos „Verteidigungsbereitschaft“ verbunden. Unterstützt werden diese Bemühungen bei den jüngeren Schülern durch Kindermedien wie Bummi, Frösi, ABC-Zeitung sowie Kinderfunkund fernsehen. Besuche von und bei Soldaten und Reservisten festigen die Bindung an die bewaffneten Streitkräfte. Militäraffine Strukturen werden in Schulalltag und Unterricht integriert; die Kinder begehen mit den Lehrern die „Woche der Waffenbrüderschaft“ sowie den „Tag der Nationalen Volksarmee“.

4 . bis 7. Klasse (10 bis 14 Jahre )

Ab der 4. Klasse wird die Wehrerziehung in der Schule und bei den Thälmannpionieren beziehungsweise bei der Freien Deutschen Jugend (FDJ) fortgesetzt. Die ideologische Ausbildung wird konkreter; das Ziel für diese Altersstufe ist es, das Klassenbewusstsein der Kinder und Jugendlichen zu schärfen und sie zu sozialistischen Patrioten und proletarischen Internationalisten zu erziehen. Neben den bisher genannten Zeitschriften und dem Jugendrundfunk werden GST-Zeitschriften genutzt, um die Inhalte möglichst jugendgerecht zu vermitteln.

Einen besonderen Höhepunkt bilden die jährlich abgehaltenen Pioniermanöver der Thälmannpioniere. Die Teilnahme ist freiwillig und bietet neben körperlichen Herausforderungen wie Ausdauerläufen und Kraftübungen auch Gelegenheit, sich im Umgang mit Kompass und Karte, im Luftgewehrschießen sowie der Entschlüsselung von Texten zu üben.

8 . bis 10. Klasse (14 bis 16 Jahre )

„Eigentlich bin ich durch die GST zum Militär gekommen. Das war gut, da konnte man seinen Lkw- und Motorradführerschein machen, und einmal im Jahr gab’s ein GST-Lager an der Ostsee. Und Technik gab’s da auch. Ich bin ja technikaffin, und beim Militär gibt‘s immer die neueste Technik. Das war auch ein Grund für mich.“ Hartmut Geyer, Major der NVA a.D.

Zusätzlich zu den bisherigen Erziehungsinstitutionen beteiligen sich auch Betriebe, berufsbildende Schulen, Patenbrigaden, Angehörige der bewaffne ten Organe, die GST sowie der Jugendweiheausschuss an der Wehrerziehung der Jugend von 14 bis 16 Jahren. Die Inhalte haben sich gegenüber den vorherigen Klassenstufen nicht verändert; bei den unterstützenden Medien kommt noch die Zeitschrift „Wissensspeicher Wehrausbildung“ hinzu.Um die Jugend wehrsportlich zu mobilisieren, finden ab 1967 jährlich die „Hans-Beimler-Wettkämpfe“ statt. Die Teilnahme ist für alle Acht- bis Zehntklässler obligatorisch, nach 1979 nur noch für die Achtklässler. Das Programm setzt sich aus politischen Veranstaltungen, wehrsportlichen Wettkämpfen sowie aus einem Geländespiel zusammen. Zu Beginn der 1970 er Jahre kommt noch der „Marsch der Bewährung“ hinzu, bei dem die

Teilnehmer einen zehn Kilometer langen Parcours überwinden müssen.

Zu den wichtigsten Ritualen der DDR-Jugend zählt die Jugendweihe, die in der Regel mit 14 Jahren erfolgt. Die Teilnehmer werden in sogenannten Jugendstunden vorbereitet. Die NVA trägt häufig zur Ausgestaltung des Jugendweiheprogramms bei.Das Gelöbnis, das die jungen Erwachsenen im Rahmen dieses Programms ablegen, enthält ein klares Bekenntnis zur Landesverteidigung:

„Seid ihr bereit, (…) im Geiste des proletarischen Internationalismus zu kämpfen, den Frieden zu schützen und den Sozialismus gegen jeden imperialistischen

Angriff zu verteidigen, so antwortet: Ja, das geloben wir!“

Schüler und Schülerinnen der neunten und zehnten Klasse besuchen den ( seit 1978) obligatorischen Wehrkundeunterricht, der vier Doppelstunden pro Schuljahr umfasst und die sozialistische Landesverteidigung behandelt. Für die Zehntklässler gehören außerdem drei sogenannte „Tage der Wehrbereitschaft“ zum Programm.

Zusätzlich können die Jungen in der neunten Klasse freiwillig an einem zwölftägigen Wehrausbildungslager und die Mädchen an einem Lehrgang in Zivilverteidigung teilnehmen.

11 . bis 12. Klasse beziehungsweise Berufsausbildung (16 bis 18 Jahre )

Erziehungsträger sind die Erweiterte Oberschule oder die Berufsschule, die GST sowie die FDJ. Das Ziel, die jungen Menschen zu überzeugten Verteidigern der sozialistischen Ideologie zu erziehen, ist weiterhin verpflichtend. Bei den Jungen sollen die Inhalte durch die vormilitärische Ausbildung der GST vermittelt werden, bei den Mädchen durch eine freiwillige Rot-Kreuzoder GST-Ausbildung. Für die Jungen obligatorisch ist ein zweiwöchiger Ausbildungsaufenthalt in einem GST-Lager oder die Teilnahme an den „Tagen der Wehrerziehung“.

Für Schüler der 11. und 12. Klasse wird darüber hinaus ein Lehrgang „Grundfragen der Militärpolitik und des bewaffneten Schutzes der Deutschen Demokratischen Republik“ angeboten. Er soll Interessierte bestärken, einen militärischen Beruf zu ergreifen.

Wehrdienst (18 bis 20 Jahre)

Auch während des „Ehrendienstes“ wird die sozialistische Wehrerziehung durch die Kommandeure und die Politorgane der Armee sowie durch die SED-Grundorganisation und die FDJ fortgeführt, sowohl für die regulär Dienenden als auch für die Unteroffiziere auf Zeit, die sich für 36 Monate verpflichten. Das Klassenbewusstsein der Wehrdienstleistungen soll durch ideologische Schulungen geschärft werden.

Studium beziehungsweise Einstieg ins Berufsleben (20 bis 26 Jahre)

Die Betriebe, die Hoch- und Fernschulen, die SED-Grundorganisation, die Reservistenkollektive, die Kampfgruppen sowie der Freie Deutsche Gewerk schaftsbund (FDGB) haben die Aufgabe, die sozialistische Wehrerziehung weiter zu festigen. Gediente Reservisten werden während ihres Reservistendienstes geschult, ungediente Reservisten während der Reservistenqualifizierung oder der fünfwöchigen berufsspezifischen Zivilverteidigungsausbildung.

Beruf (ab 26 Jahre)

Auch für die Berufstätigen ist die sozialistische Wehrerziehung keineswegs beendet. Übernommen wird die Aufgabe nun von den jeweiligen Betrieben, von der SED-Grundorganisation, von den Reservistenkollektiven und Kampfgruppen, von der Zivilverteidigung und vom FDGB. Neben der Festigung des bisher Vermittelten geht es auch darum, Multiplikatoren für die Agitation zu werben und die Wehrbereitschaft- und fähigkeit zu erhalten. Zu diesem Zweck werden regelmäßig Reserveübungen durchgeführt. Darüber hinaus werden die Bürger in (para)militärische Organisationen integriert, beispielsweise als freiwillige Helfer im Grenzdienst oder in der Kampfgruppe. Für Paraden, Aufmärsche und Vereidigungen stellen die „Ehemaligen“ Abordnungen bereit.

4.2  Wehrbereitschaft und Bildungsweg

„Ich hab’ mich in der zehnten Klasse für 25 Jahre verpflichtet. Aus meinem Jahrgang haben alle Jungs mindestens die drei Jahre gemacht. Musste man, wenn man studieren wollte.“

Hartmut Geyer, Major der NVA a.D.

Eine wichtige Motivation für die Ableistung des Wehrdienstes war der Wunsch nach höherer Bildung oder – umgekehrt formuliert – die Angst, keine höhere Bildung zu erhalten, wenn man den Wehrdienst ablehnt. Leider ist in der Literatur fast ausschließlich von den Möglichkeiten eines Studiums die Rede. Informationen darüber, inwieweit sich die Wehrbereitschaft auf den Lebensweg von Lehrlingen oder Geringqualifizierten auswirkte, sind kaum vorhanden.

Vor 1962 wurden bei der Vergabe von Studienplätzen diejenigen bevorzugt, die freiwillig in der NVA oder anderen Armeeteilen gedient hatten. Nach Einführung der Wehrpflicht hatten diejenigen bessere Aussichten, die ihren Grundwehrdienst bereits geleistet hatten. Ab 1970 wurde dann ein drei- bis vierjähriger „freiwilliger“ Wehrdienst zur Voraussetzung für die Aufnahme eines Studiums; Studienbewerberinnen mussten während des Studiums die vormilitärische Ausbildung durchlaufen.

Wer sich als Soldat oder Unteroffizier auf drei Jahre verpflichtete, erhielt ein höheres Stipendium sowie die Sicherheit, den Wunschstudienplatz zu erhalten.

5 . WIDERSTAND DURCH WEHRDIENSTVERWEIGERUNG

5.1  Reaktionen auf die Einführung der Wehrpflicht

„Man will sich als junger Kerl ja auch beweisen. Da gibt‘s einen Ehrenkodex unter jungen Männern. ,Hast Du gedient?’

Wir waren diesem Staat dankbar. Wir hatten Frieden, gute Bildung, medizinische Versorgung. Davon konnten die Generationen vor uns nur träumen.

Man ist ein bisschen patriotisch. Die Männer dienen immer der Nation. Wenn man belobigt oder befördert wurde, hat man gesagt: ,Ich diene der Deutschen Demokratischen Republik’, – das hat man nicht umsonst gesagt.“

Hartmut Geyer, Major der NVA a.D.

Sowohl in der DDR als auch in der BRD gab es trotz des noch nicht lange zurückliegenden Zweiten Weltkriegs eine breite Akzeptanz des Militärs als männliche Sozialisationsinstanz, die jungen Männern Ordnung und Disziplin „einimpft“ und sie zu reifen, „vollwertigen“ Männern macht.Innerhalb der Kirchen gab es zum Thema Wehrpflicht unterschiedliche Auffassungen. „Einerseits betonte der Thüringer Landesbischof Moritz Mitzenheim im Januar 1962 in einem Pfarrerrundbrief ausdrücklich, dass der Staat das Recht habe, seine Bürger zum Wehrdienst zu verpflichten. Andererseits befand der Magdeburger Bischof Johannes Jähnicke in einem Brief an die Gemeinden, dass die Verweigerung des Dienstes an der Waffe ein Teil des christlichen Friedenszeugnisses sei.“„Neben einzelnen Persönlichkeiten (…) meldeten die Evangelische Kirchenleitung der Kirchenprovinz Sachsen sowie die Synode der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg schwere Bedenken an.“Es gab also eine kontroverse öffentliche Diskussion.

Anders bei der katholischen Kirche: Hier wurde von den Bischöfen lediglich eine Stellungnahme für den innerkirchlichen Gebrauch verfasst, die besagte, dass durch die Wehrpflicht die Religionsfreiheit nicht eingeschränkt werde und der Eid aufgrund seines fehlenden Gottesbezuges nicht in Konflikt zur katholischen Lehre stehe.

5.2  Totalverweigerung

Totalverweigerung bedeutet, dass der Betreffende sowohl den Waffendienst wie auch einen waffenlosen Wehrersatzdienst ablehnt. In der untenstehenden Grafik ist die Zahl der Totalverweigerer ab dem Geburtsjahrgang 1962 abgetragen:

Prinzipielle Wehrdienstverweigerer (nach Geburtsjahrgängen)

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Eigene Darstellung, Quelle: Pausch, Andreas (2004): S. 138.

Diese Angaben stammen von Andreas Pausch; er bezieht sich auf Daten der BStU (Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik).

Bernd Eisenfeld gibt die Zahl der Totalverweigerer von der Einführung der Wehrpflicht im Januar 1962 bis zum Ende der DDR mit 6000 an. Zum Ende der 1980er Jahre stieg die Zahl der Totalverweigerer stark an, was vor allem auf Wehrpflichtige mit Ausreiseantrag zurückzuführen ist.

Die Motive für die Totalverweigerung waren meist religiöser Natur. So waren beispielsweise von den 287 Wehrdienstverweigerungen im September 1962 253 religiös begründet. Es handelte sich zum großen Teil um Zeugen Jehovas, die den Wehrdienst aus der Überzeugung heraus ablehnten, kein Teil des Staates zu sein, sowie um evangelische Christen, die den Waffendienst nicht mit ihrem Bekenntnis vereinbaren konnten.

Die Totalverweigerung bedeutete ein hohes Risiko: „Wer grundsätzlich auch den Wehrersatzdienst ablehnt, kann von der Militärjustiz mit Haft bis zu fünf Jahren bestraft werden.“Die Straftatbestände waren dabei die „(…) Verletzung der Verteidigungsfähigkeit der DDR oder der Angriff und die Verletzung der Kampfkraft der Nationalen Volksarmee (…)“In der Praxis wurden bis Mitte der 1980er Jahre für die totale Verweigerung des Wehrdienstes meist zwischen 24 und 30 Monate Gefängnis verhängt, danach waren es in der Regel 18 bis 20 Monate. Davon waren während des Bestehens der DDR rund 3000 Wehrpflichtige betroffen.Häufig wurden die Verurteilten anschließend in die Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen.

Wenn aber nur etwa die Hälfte der Totalverweigerer rechtlich belangt wurde, so hatte die andere Hälfte keine strafrechtlichen Konsequenzen zu tragen. Es gab offenbar keine einheitliche Regelung für den Umgang mit Wehrdienstverweigerern: Teilweise wurden Totalverweigerer mit allen Mitteln verfolgt, teilweise wurden sie, nachdem sie bei der Musterung ihre Verweigerung erklärt hatten, gar nicht einberufen.

Eine grundsätzliche Klärung dieser Frage zeichnete sich 1983 ab, als Erich Honecker anwies, vorerst gar keine Einberufungsbefehle an bekannte Totalverweigerer auszugeben. Der Grund dafür war der 500. Geburtstag Martin Luthers, der von der Staatsführung feierlich begangen wurde und nicht durch eine Berichterstattung über die strafrechtliche Verfolgung von Pazifisten getrübt werden sollte. Schon im folgenden Jahr war die „Schonfrist“ vorbei und die ursprüngliche Regelung wurde wieder angewandt. Nach Protesten der UNO-Menschenrechtskommission, von Bürgern und der Kirche kehrte die DDR-Führung weitgehend zur Praxis von 1983 zurück und zog nur noch in sehr wenigen Fällen namentlich bekannte Totalverweigerer ein; Zeugen Jehovas wurden von der Einberufung generell ausgenommen.

Eine besondere Form der Totalverweigerung bewirkte das 1982 verabschiedete Wehrpflichtgesetz, nach dem im Verteidigungsfall auch Frauen zum Militärdienst herangezogen werden sollten. Über 200 Frauen kündigten an, sich der Erfassung und dem Wehrdienst zu verweigern. Aus diesem

Protest entwickelte sich die Bewegung „Frauen für den Frieden“.

5.3  Waffenloser Wehrersatzdienst – die „Spatensoldaten“

„Das waren zu 70 Prozent welche, die keinen Wehrdienst leisten wollten. Die wollten nicht den harten Drill mitmachen. Die waren auch im Ansehen rangmäßig ganz unten. Selbst Soldaten im Grundwehrdienst haben die als Drückeberger verachtet.

Und wir haben ihnen nicht getraut, falls mal der Ernstfall eintritt.“

Hartmut Geyer, Major der NVA a.D.

Entstehungsgeschichte der Bausoldateneinheiten

Am 12.03.1962 trafen sich zwei evangelische Bischöfe, Friedrich-Wilhelm Krummacher und Moritz Mitzenheim, mit Hans Seigewasser, seines Zeichens Staatssekretär für Kirchenfragen, und Willi Stoph, dem stellvertretenden Ministerpräsidenten der DDR. Besprochen wurde unter anderem die Möglichkeit der Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen. Obwohl die Regierungsvertreter das Ansinnen zurückwiesen, wurde zwei Jahre später, am 07.09.1964, die „Anordnung des Nationalen Verteidigungsrates der DDR über die Aufstellung von Baueinheiten im Bereich des Ministeriums für Nationale Verteidigung“ (AOBE) erlassen.

Was waren die Ursachen für diesen Sinneswandel? Zum einen ist die beständige Intervention der evangelischen Kirchen zu nennen. Da Walter Ulbricht gerade eine Entspannungspolitik gegenüber den Kirchen betrieb, schien dieses Zugeständnis der DDR-Regierung eine Möglichkeit, „demokratischen Sozialismus“ zu demonstrieren.

Zum anderen konnte die Führung mit der Bausoldatenregelung etwa die Hälfte der Verweigerungen kanalisieren und bisher „Unerreichbare“ in die militärische Disziplin einbinden. Darüber hinaus sollten zu diesem Zeitpunkt viele Militärbauten, insbesondere Flugplätze, errichtet werden.

Die genauen Entscheidungsabläufe innerhalb der SED lassen sich leider nicht mehr rekonstruieren, da das entsprechende Quellenmaterial – mitsamt Kopien – offenbar vom Ministerium für Staatssicherheit vernichtet wurde.

Struktur und Aufgaben

Es gab in der DDR verschiedene Arten des Wehrersatzdienstes, die in Artikel 25 des Wehrpflichtgesetzes aufgelistet waren: bei der Volks- oder Transportpolizei, beim Ministerium für Staatssicherheit, seit 1964 bei den Baueinheiten und ab 1978 bei der Zivilverteidigung. Die Einreihung des Dienstes bei den Baueinheiten unter die Polizei- und MfS-Dienste empfanden die Betroffenen als zynisch, da diese eine große ideologische Übereinstimmung mit dem SED-Regime voraussetzten – eine Einstellung, die ihnen fernlag.

Wer konnte nun also Bausoldat werden?

„Zum Dienst in den Baueinheiten werden solche Wehrpflichtigen herangezogen, die aus religiösen oder aus ähnlichen Gründen den Wehrdienst mit der Waffe ablehnen.“

AOBE Art. 4, Abs. 1

Die unscharfe Formulierung „aus ähnlichen Gründen“ ist nie genauer präzisiert worden, weshalb es beispielsweise für atheistische Pazifisten oder politische Oppositionelle schwer möglich war, sich darauf zu berufen; die Auslegung blieb damit den Behörden überlassen.Einen Rechtsanspruch auf Kriegsdienstverweigerung bedeutete dies nicht.

In Artikel 2, Absatz 1 der AOBE sind die von den Baueinheiten zu erbringenden „Arbeitsleistungen im Interesse der Deutschen Demokratischen Republik“ geregelt:

  1. Mitarbeit bei Straßen- und Verkehrsbauten sowie Ausbau von Verteidigungs- und sonstigen militärischen Anlagen;
  2. Beseitigung von Übungsschäden;
  3. Einsatz bei Katastrophen.

Abgesehen von der Ausbildung an Waffen, unterschieden sich die Ausbildungsaufgaben der Bausoldaten nach Artikel 6 der AOBE nicht von denen regulärer Soldaten.

Offizielle Ausgestaltung des Bausoldatendienstes

Zahlreiche Dienstvorschriften, Anordnungen und Durchführungsbestimmungen regelten die Ausgestaltung des Bausoldatendienstes. So geht aus der Durchführungsbestimmung zu DV 10/12b u. DV 66/8; Ausbildungsprogramm, Abschnitt „Allgemeines Ausbildungsziel“, Ziffer 1f deutlich hervor, dass die Baueinheiten aus Sicht des Militärs Straf- und Erziehungsbataillonen gleichkamen. Ausbildungsziel sei es (…),

„die Angehörigen der Baueinheiten (…) zu erziehen: – zur Ergebenheit gegenüber der DDR, dem einzig rechtmäßigen deutschen Staat, zur SED und zu ihrem Gelöbnis“, und zwar durch „(…) zielstrebige Durchsetzung einer straffen Disziplin und Ordnung im gesamten Erziehungs-, Ausbildungs- und Arbeitsprozess; (…) straffe, organisierte und ununterbrochene Leitung der Arbeitseinsätze und der Ausbildung durch die Kommandeure; (…) und Nichtzulassen von Erleichterungen und Schablonen in der Ausbildung.“

Der Dienst der Bausoldaten dauerte – genau wie der reguläre Wehrdienst – 18 Monate. Mindestens ein Drittel der Ausbildung musste politisch-ideologischer Natur sein; Bausoldaten waren von bestimmten Belobigungsarten wie dem Fotografieren vor der Gruppenfahne ausgeschlossen; sie durften nicht in andere Mannschaftsdienstgrade befördert werden. Ihre Vorgesetzten waren reguläre Soldaten und (Unter-)Offiziere.

Die Baueinheiten legten keinen Fahneneid ab, sondern ein Gelöbnis, das allerdings viele von ihnen in Gewissensnöte brachte, denn es verlangte, zur Verteidigungsleistung der NVA und der verbündeten Staaten beizutragen, unbedingten Gehorsam gegenüber den Vorgesetzten zu leisten und die militärischen Bestimmungen zu befolgen.Die Verweigerung des Gelöbnisses zog Haftstrafen bis zu sieben Monaten nach sich.

Inoffizielle Ausgestaltung des Bausoldatendienstes

In der Praxis wurde es den Bausoldaten schwer gemacht, ihren Dienst abzuleisten. So wurden sie generell möglichst heimatfern eingesetzt, damit die Heimfahrt beim Wochenendurlaub möglichst lange dauerte. Bausoldaten durften während des Ausgangs keine Zivilkleidung tragen; der Ausgang wurde ihnen häufig nur als Belohnung für besondere Arbeitsleistungen gewährt und wurde oft kurzfristig gestrichen. Jegliche religiöse Betätigung wurde geahndet; der gruppenweise Ausgang zum Sonntagsgottesdienst war nur in Einzelfällen gestattet.

Die Isolation vom gewohnten sozialen Umfeld traf die Bausoldaten umso härter, da sie meist älter waren als andere Wehrpflichtige. Das Durchschnittsalter lag häufig zwischen 23 und 28 Jahren. Dies lag einerseits am 18-monatigen Einberufungszyklus und dem hohen „Überhang“ von erklärten Wehrdienstverweigerern, für die die Planstellen nicht ausreichten; andererseits darf dahinter auch Kalkül vermutet werden, denn die Betroffenen hatten häufig schon Frau und Kinder und waren beruflich fest verankert, so dass die Ableistung des Dienstes für sie eine tiefe Zäsur in ihrem Leben bedeutete.

Zudem fiel es den „gestandenen“ Männern schwerer, sich der Disziplin und den Befehlen der Vorgesetzten zu unterwerfen.Zusätzlich erschwert wurde die Situation dadurch, dass die Bausoldaten von den regulären Wehrdienstleistungen isoliert und von Vorgesetzten gelegentlich als „Kriminelle“ und „Homosexuelle“ diffamiert wurden.

Auch auf den weiteren Lebensweg, insbesondere auf die Bildungsmöglichkeiten, hatte die Entscheidung für den waffenlosen Wehrersatzdienst Auswirkungen: „Entgegen einer Darstellung des SED-Generalsekretärs Erich Honecker, wonach Bausoldaten alle Bildungswege in der DDR offenstehen, sind bis Ende 1988 Fälle aktenkundig, in denen erklärte oder gediente Bausoldaten beim Zugang zu Hoch- und Fachhochschulstudium, Facharztausbildung bzw. berufsspezifischer Qualifikation behindert worden sind.“Es sind sogar Berufsverbote und -einschränkungen bekannt; grundsätzlich konnten sich die Bausoldaten nie sicher sein, ob sie nach Ableistung ihres Dienstes noch studieren oder ihren Wunschberuf ausüben konnten.

Motive für die Ableistung des waffenlosen Wehrersatzdienstes

Wenn die Bedingungen für Bausoldaten so schlecht waren, warum meldeten sich die jungen Männer dafür?

Die Motive waren religiöser, politisch-oppositioneller oder pazifistischer Natur und unterlagen einem Wandel. Von 1964 bis Mitte der 1970er Jahre waren religiöse Motive vorherrschend. Insgesamt waren über 90 Prozent der Bausoldaten konfessionell gebunden, zwei Drittel davon waren evangelische Christen, ein Drittel setzte sich aus Mitgliedern der Freikirchen, Siebenten-Tags-Adventisten, Katholiken und zu einem sehr geringen Teil aus Zeugen Jehovas zusammen.

Ab Mitte der 1970er bis in die 1980er Jahre verringerte sich der Anteil religiös motivierter Bausoldaten. 1973 waren noch 74 Prozent der waffenlosen Wehrdienstleistenden konfessionell gebunden, 1979 waren es 20 Pro zent. Rund die Hälfte der Bausoldaten hatte nun politische Gründe für die Waffendienstverweigerung. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Friedensbewegungen der 1980er Jahre wie „Schwerter zu Pflugscharen“ auch von nichtreligiösen Jugendlichen unterstützt wurden; zudem stieg die Zahl derjenigen, die einen Ausreiseantrag stellten und damit deutlich zu verstehen gaben, dass sie mit der politischen Situation unzufrieden waren. Laut einer Einschätzung der Evangelischen Kirchen waren 1988 und 1989 die Hälfte der Bausoldaten Ausreiseantragsteller.

Schließlich erhöhte sich auch der Anteil „unangepasster“ Gruppen bei den Bausoldaten, etwa Punks oder auch Skinheads und Neonazis, die aus antikommunistischen Motiven heraus den Bausoldatendienst wählten.Anteil der Bausoldaten an der wehrpflichtigen Bevölkerung

Wie die nachstehende Grafik zeigt, handelt es sich bei den Bausoldaten um eine verschwindend geringe Minderheit:

Zum Dienst als Bausoldat erklärte Wehrpflichtige ( nach Geburtsjahrgängen )

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Eigene Darstellung, Quelle: Pausch, Andreas (2004): S. 138.

Die Musterungskommissionen ermittelten, dass „(…) in den Jahren 1964 bis 1975 durchschnittlich 0,2% der Geburtsjahrgänge 1946 bis 1957 den Dienst ohne Waffe leisten wollten (…). In den Jahren 1976 bis 1983 (Geburtsjahrgänge 1958 bis 1965) wuchsen sowohl die Jahrgangsstärken (…) als auch die Anträge auf den Dienst ohne Waffe (0,3%…). Ab 1984 nahm die Prozentzahl bei schwindenden Jahrgangsstärken (…) jährlich stetig zu bis auf schließlich 1,4 Prozent (…)“

Bernd Eisenfeld gibt an, es hätten sich in 25 Jahren rund 27.000 junge Männer für den Bausoldatendienst gemeldet, von denen jedoch nur 15.000 als Bausoldaten eingezogen wurden.Das ergibt für die gesamte Zeit, in der die Wehrpflicht in der DDR galt, einen 0,6-prozentigen Anteil von Bausoldaten an allen Wehrdienstleistenden.

Widerständiges Verhalten von Bausoldaten

„Die haben genervt, sich über alles und jeden beschwert. Die konnten die Vorschriften besser auswendig als jeder andere Soldat. Und der Politoffizier musste erst mal die Bibel lesen, damit er mit denen diskutieren konnte.“

Hartmut Geyer, Major der NVA a.D.

Bei widerständigem Verhalten von Bausoldaten handelte es sich meist um offene Systemkritik, überwiegend in Form von Eingaben und Beschwerden.Tatsächlich machten Bausoldaten überproportional häufig Eingaben.Hauptkritikpunkte waren die Beteiligung am Bau militärischer Anlagen so wie das Gelöbnis.Auch die Beteiligung an politischen Diskussionen sowie der Boykott von Wahlen beziehungsweise die Abgabe von Neinstimmen zur Einheitsliste gehörten zum Widerstandsrepertoire der Bausoldaten.Als extremste Form des Widerstands wurden Arbeits- und Befehlsverweigerungen mit Disziplinarstrafen oder sogar mit Haft im Militärgefängnis bestraft.

6 . FAZIT

Zum Abschluss möchte ich noch einmal auf die beiden einleitenden Fragen zurückkommen: Wie hat es die DDR geschafft, dass sich junge Männer für die Armee verpflichteten, ob nun für anderthalb, für drei oder eben für 25  Jahre?

Die Antwort darauf lautet: Mit Zuckerbrot und Peitsche. Das DDRRegime gerierte sich als das friedlichere Deutschland und vermittelte seinen Bürgern schon ab der Kinderkrippe ein Weltbild, in dem der eigene Staat als bedroht dargestellt und die Notwendigkeit der Verteidigung großgeschrieben wurde.

Neben der staatlichen institutionellen Erziehung boten Pionierorganisation und GST vielfältige, attraktive Freizeitaktivitäten, die en passant eine vormilitärische und ideologische Ausbildung vermittelten. Denjenigen, die sich freiwillig zu einem drei- oder vierjährigen Wehrdienst verpflichteten, wurden zudem bessere Bildungsmöglichkeiten und damit eine größere Chance auf eine gute Karriere in Aussicht gestellt.

Die andere Seite der Medaille ist die – mal mehr, mal weniger konsequent durchgeführte – Praxis, „Abweichler“ auszugrenzen und zu bestrafen, indem man ihnen den Zugang zu Bildungsangeboten erschwerte und sie im Extremfall kriminalisierte.

Viele sahen den Wehrdienst allerdings als etwas Normales an, als etwas, „durch das ein Mann eben durch muss“. Doch was war mit jenen, die anders dachten? Welche Möglichkeiten gab es für diejenigen, die den bewaffneten Dienst ablehnten?

Es gab zum einen die Möglichkeit, den Wehrdienst komplett zu verweigern – und dann die Konsequenzen zu tragen. Das Regime ging keineswegs einheitlich mit Totalverweigerern um; die Unsicherheit über die Folgen der eigenen Entscheidung war für die Betroffenen enorm, da von der Nichteinberufung bis zu Gefängnis und Abschiebung alles möglich war.

Für alle, die den Wehrdienst nicht komplett verweigern konnten oder wollten, lautete die Alternative: Dienst bei den Baueinheiten. Diese Möglichkeit gab es im Warschauer Pakt nur in der DDR; es bestand allerdings kein Rechtsanspruch darauf und der Dienst wurde – entgegen der offiziellen Linie – so ausgestaltet, dass er möglichst unangenehm war: von der späten Einberufung über restriktive Urlaubs- und Ausgangsregelungen bis zum Verbot religiöser Betätigung in der Kaserne. Auch hier waren die Auswirkungen auf das spätere Leben, auf Studium und/oder Beruf kaum abzusehen, da die Entscheidungen des Regimes uneinheitlich und damit willkürlich getroffen wurden.

1 . EINLEITUNG

Die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Nationalen Volksarmee (NVA) ist für mich auch eine Auseinandersetzung mit meiner Familiengeschichte: Mein Vater, Hartmut Geyer, diente in der Nationalen Volksarmee der Deutschen Demokratischen Republik als Berufssoldat, zuletzt im Range eines Majors. Er machte eine gute Karriere, wurde stetig befördert und zum Studium nach Moskau delegiert. Wir lebten in einem Wohnblock mit anderen Armeefamilien; Männer in Uniform waren in meiner Kindheit also eher die Regel als die Ausnahme.

Als mein Vater dafür unterschrieb, 25 Jahre lang in der NVA zu dienen, war er 16 Jahre alt. In diesem Alter fällt es den meisten Jugendlichen schwer, sich diese Zeitspanne auch nur vorzustellen. Die erste Frage, die ich mir gestellt habe, lautet daher: Wie hat es die DDR geschafft, dass sich junge Männer für die Armee verpflichten, ob nun für anderthalb, für drei oder eben für 25 Jahre?

Daran schließt sich die zweite grundlegende Frage dieses Beitrags an: Welche Möglichkeiten gab es für diejenigen, die den bewaffneten Dienst ablehnten? Heute ist die Alternative eines waffenlosen Ersatzdienstes in vielen Ländern mit Wehrpflicht eine gelebte Selbstverständlichkeit; wie stand es damit in der DDR? Wie ging der Staat mit denjenigen um, die sich der „Ehrenpflicht zur Verteidigung des Vaterlandes“ entziehen wollten? Was waren die Motive für die Verweigerung des Waffendienstes?

Zu all diesen Fragen habe ich meinen Vater interviewt. Seine Aussagen sind den jeweiligen Abschnitten in Kursivschrift vorangestellt. Es handelt sich selbstverständlich um eine individuelle Einzelmeinung. Ich kann weder beurteilen, ob und inwieweit sie typisch für die Ansichten von NVA-Angehörigen ist, noch kann ich ausschließen, dass die historischen Entwicklungen seit dem Jahr 1989, soziale Erwünschtheit und die Tatsache, dass das Interview von Tochter und Vater geführt wurde, zu Verzerrungen geführt haben. Es ging mir lediglich darum, den Fakten eine möglichst authentische Stimme aus dem Inneren des Systems NVA gegenüberzustellen, und das ohne jede Wertung.

Zu Beginn gehe ich der grundlegenden Frage nach, warum die DDR, die sich so gern als das bessere, friedliebende Deutschland gerierte, so stark militarisiert war. Nach einer kurzen Chronologie der Wiederbewaffnung der DDR beschäftige ich mich mit der sozialistischen Wehrerziehung, die in der DDR, überspitzt formuliert, „von der Wiege bis zur Bahre“ reichte.

Im zweiten Komplex, der sich mit dem waffenlosen Wehrersatzdienst und der Totalverweigerung befasst, wird zunächst der Unterschied zwischen diesen beiden Formen der Wehrdienstverweigerung dargestellt; dann werden die gesetzlichen Grundlagen des waffenlosen Wehrersatzdienstes beleuchtet und die Motive der sogenannten Bausoldaten sowie die Auswirkungen ihres Dienstes untersucht.

2 . ANTIMILITARISMUS UND ARMEE – EIN PARADOXON?

2.1  Militarisierter Sozialismus in der DDR?

Die Deutsche Demokratische Republik wird „…als eine der am stärksten militarisierten Gesellschaften der neueren Geschichte…“beschrieben. „Militarisiert“ bedeutet, dass entsprechende Prozesse oder empirisch belegbare Tendenzen vorliegen, die den ge- oder übersteigerten Stellenwert des Militärs in der Gesellschaft belegen.

In der DDR

waren sowohl der äußere wie auch der innere Sicherheitsapparat überdimensioniert;

gab es eine enge Verflechtung von Militär und Erziehungsinstitutionen; sollten möglichst alle Gesellschaftsbereiche in die militärischen und paramilitärischen Institutionen eingebunden werden, um Disziplin und soziale Kontrolle zu gewährleisten;

sollte die Hierarchisierung der Gesellschaft durch die Anwendung militärischer Strukturen und Prinzipien erreicht werden;

wurden große Anstrengungen zur militärischen Indoktrination unternommen;

wurden militärische Rituale und Tugenden in der Öffentlichkeit gepflegt.

Ein solches System existierte in allen sozialistischen Staaten; daher setzte sich in der westlichen Forschung der Begriff des „militarisierten Sozialismus“ durch. Die Militarisierung der Gesellschaft war in den einzelnen Ländern jedoch unterschiedlich stark ausgeprägt.

Die DDR wies in Bezug auf die Streitkräfte und die paramilitärischen Verbände den höchsten Erfassungsgrad im gesamten Warschauer Pakt auf.Seit der Aufstellung der regulären Armee hatten rund 2,5 Millionen Wehrpflichtige bei der Volksarmee beziehungsweise bei den Grenztruppen gedient; hinzu kamen 430.000 hauptamtliche Mitarbeiter bei den bewaffneten Organen sowie die Einbindung eines erheblichen Bevölkerungsanteils in (para)militärische Verbände wie die Gesellschaft für Sport und Technik (GST), die Kampfgruppen der Arbeiterklasse, die Volkspolizeibereitschaften, die Betriebskampfgruppen, die Zivilverteidigung oder die Reservistenkollektive. In den späten 1980er Jahren betrug die Zahl der in (para)militärischen Verbänden aktiven Bürger rund 2 Millionen.

Welchen Stellenwert die DDR dem Militärbereich beimaß, lässt sich auch am Umfang der verwendeten Mittel ablesen. Die folgende Grafik bildet die absoluten Ausgaben für Militär und Sicherheitsbereiche für die DDR und – zum Vergleich – für die BRD ab:

Zuschüsse für Militär und Sicherheitsbereiche

Eigene Darstellung nach Quellen: Diedrich, Ehlert, Wenzke (1998); Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland; Statistisches Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik

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Diese Zahlen sind jedoch „mit Vorsicht zu genießen“. In der DDR wurden die offiziellen Verteidigungs- und Sicherheitsausgaben nachweislich um 20 bis 30 Prozent zu niedrig angegeben.Die oben stehenden Angaben für die DDR decken sich mit den erhalten gebliebenen Angaben aus dem geheimen Staatshaushalt der DDR, daher können sie als belastbar angesehen werden.Für die BRD sind die Daten den Statistischen Jahrbüchern entnommen; wie genau sie sind, lässt sich ebenfalls nur schwer beurteilen.

Natürlich sind die absoluten Zahlen erst aussagekräftig, wenn sie in Beziehung zu den gesamten Ausgaben des Staates gesetzt werden. So vermittelt die oben abgebildete Grafik den Eindruck, die BRD hätte sehr viel stärker in Militär und Sicherheitsbereich investiert. In der Relation ergibt sich jedoch ein differenzierteres Bild: Mit der Einführung der Wehrpflicht 1964 stiegen die Verteidigungsausgaben der DDR, ab dem Ende der 1960er Jahre lagen sie im Verhältnis zu den Gesamtausgaben des Staatshaushalts höher als in der BRD, die ihr Militärbudget – nach anfänglich hohen Aufwendungen für den Aufbau der Bundeswehr – kontinuierlich senkte.

Zwar wurde auch der Verteidigungshaushalt der DDR, gemessen an den Gesamtausgaben, ab 1969 wieder kleiner, er blieb jedoch insgesamt auf einem höheren Niveau.

Anteil des Verteidigungsbudgets an Staatsausgaben in Prozent

Eigene Darstellung nach Quellen: Diedrich, Ehlert, Wenzke (1998); Statistisches Jahrbuch für die

Bundesrepublik Deutschland; Statistisches Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik

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2.2  Parteitheoretische Begründung

Die Deutsche Demokratische Republik legte Wert auf das Image des besseren, friedliebenden Deutschlands, das im Gegensatz zur Bundesrepublik keinerlei revanchistische oder imperialistische Ziele verfolge und den Militarismus des Westens entschieden ablehne.

Angesichts dieser Selbstdarstellung erscheinen die oben präsentierten Zahlen zur Militarisierung paradox. Aus Sicht der SED existierte hier jedoch kein Widerspruch zwischen Selbstbild und Wirklichkeit. In der Parteiideologie war Militarismus als eine Herrschaftsform definiert, die zur Aufrechterhaltung und Ausweitung der Herrschaft einer reaktionären Klasse dient. Da sich die DDR als klassenlose Gesellschaft betrachtete, konnte es per definitionem keinen sozialistischen Militarismus geben.

So schrieb Erich Honecker 1957: „Im Klassencharakter des Staates liegt auch letzten Endes die ausschlaggebende Begründung dafür, ob eine militärische Organisation oder Armee ihrem Wesen nach imperialistisch ist und dadurch aggressiv ist, (…) oder ihrem Wesen nach eine Armee ist, deren Interessen mit den Zielen des Kampfes der Arbeiterklasse und der übrigen Werktätigen übereinstimmen und die damit dem Frieden und Fortschritt dient.“

Diese Argumentation liefert auch die Basis für die Aussage, Pazifisten seien Friedensfeinde. So heißt es in einer Schulungslektion der Ost-CDU zum Beginn des Studienjahres 1961/62:

„Wer in Westdeutschland Pazifist ist, leiht wenigstens nicht seinen Arm der imperialistischen Eroberung, auch wenn er ihr nicht aktiv entgegentritt; wer aber hier Pazifismus vertritt, leistet – bewußt oder unbewußt – eben diesen imperialistischen Aggressionsgelüsten Vorschub, steht objektiv auf der Seite der Kriegs-

kräfte.“

2.3  Bedrohungsperzeption

„Die NATO war für uns der Feind. Wir haben immer mit einem Angriff gerechnet. Die haben ja auch Manöver direkt an unserer Grenze durchgeführt.“

Hartmut Geyer, Major der NVA a.D.

Die DDR betrachtete sich als Frontstaat im Kalten Krieg, der von imperialistischen Aggressoren bedroht ist. Insbesondere wurde angenommen, „(…) daß Westdeutschland als die Hauptbasis der NATO zu einem gefährlichen Kriegsherd geworden ist, von dessen Boden aus ein Atomkrieg vorbereitet wird.“Die Befürchtung, dass die NATO eine gewaltsame Lösung der deutschen Frage plane und versuche, die Stabilität der DDR zu untergraben, wurde durch Großmanöver des Nordatlantikpaktes an der innerdeutschen Grenze gesteigert.

Der Eindruck, ein Hotspot im Kalten Krieg zu sein, wurde durch die vorgeschobene Lage an der Grenze zwischen den Blöcken verstärkt. Zusätzlich heizte die Berlin-Frage die Befürchtung an, einen feindlichen „Brückenkopf“ im eigenen Land zu haben.

In den ersten Jahren der NVA erfüllte das Militär auch die Funktion, die sozialistische Gesellschaft gegen Angriffe von innen zu schützen. Insbesondere nach den Ereignissen im Oktober 1956 in Ungarn fürchtete die

Regierung „kontrarevolutionäre Elemente“, die Unruhen in der eigenen

Bevölkerung anzetteln könnten. Mit dem 1962 ergangenen Beschluss des Nationalen Verteidigungsrates, Militäreinheiten grundsätzlich nicht im Innern einzusetzen, kam man von dieser Aufgabenstellung jedoch ab.

2.4  Einfluss der Sowjetunion

Im April 1952 „empfahl“ Stalin der DDR-Führung, eine Armee von 300.000 Mann aufzubauen.Diese Entwicklung verblüfft angesichts der Tatsache, dass gut zehn Jahre zuvor eine deutsche Armee die UdSSR überfallen und unvorstellbare Gräuel und Verwüstungen angerichtet hatte. Dennoch war die Sowjetunion aus verschiedenen Gründen interessiert daran, ein eigenständiges ostdeutsches Heer aufzubauen.

Zum einen würde eine solche Armee als „Puffer“ gegen mögliche Angriffe aus dem Westen dienen, so dass die Rote Armee bei einem Überfall durch „imperialistische Aggressoren“ Unterstützung bei der Abwehr hätte und der Feind daran gehindert würde, zu schnell auf sowjetisches Territorium vorzudringen.Zum anderen sollte die ostdeutsche Armee auch nach innen die Vorherrschaft der sozialistischen Partei und damit den sowjetischen Einfluss in der Deutschen Demokratischen Republik absichern.

Dazu kam, dass die UdSSR ab der Mitte der 1950er Jahre gemäß ihrer Militärdoktrin ihre konventionellen Truppen reduzierte und die so entstandene Lücke von den Streitkräften der anderen Paktstaaten füllen ließ.

3. CHRONOLOGISCHER ABRISS DER WIEDER-

BEWAFFNUNG IN DER SBZ/DDR

Im Potsdamer Abkommen vom 02.08.1945 hatten die Siegermächte festgelegt, dass Deutschland völlig entwaffnet und entmilitarisiert werden soll. Trotzdem wurden am 24.07.1948, also noch vor der Gründung der DDR, bewaffnete Bereitschaftsverbände aufgestellt, die sogenannte Kasernierte Volkspolizei.

Am 18.01.1956 beschloss die Volkskammer das „Gesetz über die Schaffung der Nationalen Volksarmee und des Ministeriums für Nationale Verteidigung“ und schuf somit die Grundlage für den Aufbau der Armee.Diese rekrutierte sich zunächst aus Freiwilligen. Erst nach dem Bau der Berliner Mauer im Jahr 1961 – als sich die Wehrpflichtigen nicht mehr in den Westen absetzen konnten – wurde am 24.01.1962 das „Gesetz über die allgemeine Wehrpflicht“ verabschiedet, mit dem ein 18-monatiger Wehrdienst eingeführt wurde. Am 07.09.1964 folgte schließlich die „Anordnung über die Aufstellung von Baueinheiten“, die den waffenlosen Wehrersatzdienst ermöglichte – eine einzigartige Regelung im Bereich des

Warschauer Paktes.

Eine letzte Reform des Wehrdienstes erfolgte mit dem am 25.03.1982 erlassenen „Gesetz über den Wehrdienst in der Deutschen Demokratischen Republik“.

4 . SOZIALISTISCHE WEHRERZIEHUNG

Da in der DDR die meisten Frauen erwerbstätig waren (1986 besuchten nahezu 80 Prozent aller Kinder zwischen ein und drei Jahren eine Kinderkrippe), wurden die Kinder bereits vor der Einschulung in staatlichen Erziehungsinstitutionen betreut und zu „sozialistischen Persönlichkeiten“ erzogen.

Insbesondere unter Erich Honecker (Staatsratsvorsitzender 19761989)  wurde das System der Wehrerziehung ausgebaut und perfektioniert. Ziel der sozialistischen Wehrerziehung war es, Wehrbereitschaft und Wehrfähigkeit herzustellen. Die Wehrbereitschaft sollte durch ideologische Schulung von Kindern und Jugendlichen erreicht werden, die Wehrfähigkeit durch die Erhöhung der körperlichen Leistungskraft und die Vermittlung technischen Wissens.

4.1  Idealtypischer Ablauf

Im Folgenden ist der idealtypische Ablauf der Wehrerziehung – vom Kleinkind bis zum Berufstätigen – dargestellt, unterteilt nach den verschiedenen Erziehungsträgern und Altersgruppen. Dabei ist zu beachten, dass das System der Wehrerziehung auch Wandlungen unterworfen war und regional unterschiedlich umgesetzt wurde.

Kinderkrippe (bis 3 Jahre)

Bereits in der Kinderkrippe beginnt die sozialistische Wehrerziehung, indem den Kindern beigebracht wird, Gut und Böse zu unterscheiden. Grundmuster von Bedrohung und Schutz werden spielerisch eingeübt. Mit den ältesten Krippenkindern feiern die Erzieher den Tag der NVA.

Kindergarten (3 bis 6 Jahre)

Im Kindergarten werden traditionelle Sekundärtugenden eingeübt. Den Kindern werden Loyalität zur Heimat sowie ein positives Bild „unserer Soldaten“ vermittelt, zum Beispiel durch Kriegsspielzeug und speziell für Kinder entwickelte Medien wie die Zeitschrift „Bummi“. In der Kunsterziehung werden Militärthemen behandelt:  Es werden Volksarmisten gemalt, Bilder von Armeeangehörigen betrachtet, Lieder und Gedichte über tapfere Soldaten gelernt; Angehörige der Streitkräfte besuchen den Kindergarten.

1 . bis 4. Klasse (6 bis 10 Jahre )

Kurz nach Eintritt in die Polytechnische Oberschule (Jahrgangsstufe 1-10) erfolgt in der Regel die Aufnahme der Erstklässler in die Organisation der Jungpioniere. Hier werden Mut, körperliche Leistungsfähigkeit, Ordnungssinn und Disziplin vermittelt und mit dem Topos „Verteidigungsbereitschaft“ verbunden. Unterstützt werden diese Bemühungen bei den jüngeren Schülern durch Kindermedien wie Bummi, Frösi, ABC-Zeitung sowie Kinderfunkund fernsehen. Besuche von und bei Soldaten und Reservisten festigen die Bindung an die bewaffneten Streitkräfte. Militäraffine Strukturen werden in Schulalltag und Unterricht integriert; die Kinder begehen mit den Lehrern die „Woche der Waffenbrüderschaft“ sowie den „Tag der Nationalen Volksarmee“.

4 . bis 7. Klasse (10 bis 14 Jahre )

Ab der 4. Klasse wird die Wehrerziehung in der Schule und bei den Thälmannpionieren beziehungsweise bei der Freien Deutschen Jugend (FDJ) fortgesetzt. Die ideologische Ausbildung wird konkreter; das Ziel für diese Altersstufe ist es, das Klassenbewusstsein der Kinder und Jugendlichen zu schärfen und sie zu sozialistischen Patrioten und proletarischen Internationalisten zu erziehen. Neben den bisher genannten Zeitschriften und dem Jugendrundfunk werden GST-Zeitschriften genutzt, um die Inhalte möglichst jugendgerecht zu vermitteln.

Einen besonderen Höhepunkt bilden die jährlich abgehaltenen Pioniermanöver der Thälmannpioniere. Die Teilnahme ist freiwillig und bietet neben körperlichen Herausforderungen wie Ausdauerläufen und Kraftübungen auch Gelegenheit, sich im Umgang mit Kompass und Karte, im Luftgewehrschießen sowie der Entschlüsselung von Texten zu üben.

8 . bis 10. Klasse (14 bis 16 Jahre )

„Eigentlich bin ich durch die GST zum Militär gekommen. Das war gut, da konnte man seinen Lkw- und Motorradführerschein machen, und einmal im Jahr gab’s ein GST-Lager an der Ostsee. Und Technik gab’s da auch. Ich bin ja technikaffin, und beim Militär gibt‘s immer die neueste Technik. Das war auch ein Grund für mich.“ Hartmut Geyer, Major der NVA a.D.

Zusätzlich zu den bisherigen Erziehungsinstitutionen beteiligen sich auch Betriebe, berufsbildende Schulen, Patenbrigaden, Angehörige der bewaffne ten Organe, die GST sowie der Jugendweiheausschuss an der Wehrerziehung der Jugend von 14 bis 16 Jahren. Die Inhalte haben sich gegenüber den vorherigen Klassenstufen nicht verändert; bei den unterstützenden Medien kommt noch die Zeitschrift „Wissensspeicher Wehrausbildung“ hinzu.Um die Jugend wehrsportlich zu mobilisieren, finden ab 1967 jährlich die „Hans-Beimler-Wettkämpfe“ statt. Die Teilnahme ist für alle Acht- bis Zehntklässler obligatorisch, nach 1979 nur noch für die Achtklässler. Das Programm setzt sich aus politischen Veranstaltungen, wehrsportlichen Wettkämpfen sowie aus einem Geländespiel zusammen. Zu Beginn der 1970 er Jahre kommt noch der „Marsch der Bewährung“ hinzu, bei dem die

Teilnehmer einen zehn Kilometer langen Parcours überwinden müssen.

Zu den wichtigsten Ritualen der DDR-Jugend zählt die Jugendweihe, die in der Regel mit 14 Jahren erfolgt. Die Teilnehmer werden in sogenannten Jugendstunden vorbereitet. Die NVA trägt häufig zur Ausgestaltung des Jugendweiheprogramms bei.Das Gelöbnis, das die jungen Erwachsenen im Rahmen dieses Programms ablegen, enthält ein klares Bekenntnis zur Landesverteidigung:

„Seid ihr bereit, (…) im Geiste des proletarischen Internationalismus zu kämpfen, den Frieden zu schützen und den Sozialismus gegen jeden imperialistischen

Angriff zu verteidigen, so antwortet: Ja, das geloben wir!“

Schüler und Schülerinnen der neunten und zehnten Klasse besuchen den ( seit 1978) obligatorischen Wehrkundeunterricht, der vier Doppelstunden pro Schuljahr umfasst und die sozialistische Landesverteidigung behandelt. Für die Zehntklässler gehören außerdem drei sogenannte „Tage der Wehrbereitschaft“ zum Programm.

Zusätzlich können die Jungen in der neunten Klasse freiwillig an einem zwölftägigen Wehrausbildungslager und die Mädchen an einem Lehrgang in Zivilverteidigung teilnehmen.

11 . bis 12. Klasse beziehungsweise Berufsausbildung (16 bis 18 Jahre )

Erziehungsträger sind die Erweiterte Oberschule oder die Berufsschule, die GST sowie die FDJ. Das Ziel, die jungen Menschen zu überzeugten Verteidigern der sozialistischen Ideologie zu erziehen, ist weiterhin verpflichtend. Bei den Jungen sollen die Inhalte durch die vormilitärische Ausbildung der GST vermittelt werden, bei den Mädchen durch eine freiwillige Rot-Kreuzoder GST-Ausbildung. Für die Jungen obligatorisch ist ein zweiwöchiger Ausbildungsaufenthalt in einem GST-Lager oder die Teilnahme an den „Tagen der Wehrerziehung“.

Für Schüler der 11. und 12. Klasse wird darüber hinaus ein Lehrgang „Grundfragen der Militärpolitik und des bewaffneten Schutzes der Deutschen Demokratischen Republik“ angeboten. Er soll Interessierte bestärken, einen militärischen Beruf zu ergreifen.

Wehrdienst (18 bis 20 Jahre)

Auch während des „Ehrendienstes“ wird die sozialistische Wehrerziehung durch die Kommandeure und die Politorgane der Armee sowie durch die SED-Grundorganisation und die FDJ fortgeführt, sowohl für die regulär Dienenden als auch für die Unteroffiziere auf Zeit, die sich für 36 Monate verpflichten. Das Klassenbewusstsein der Wehrdienstleistungen soll durch ideologische Schulungen geschärft werden.

Studium beziehungsweise Einstieg ins Berufsleben (20 bis 26 Jahre)

Die Betriebe, die Hoch- und Fernschulen, die SED-Grundorganisation, die Reservistenkollektive, die Kampfgruppen sowie der Freie Deutsche Gewerk schaftsbund (FDGB) haben die Aufgabe, die sozialistische Wehrerziehung weiter zu festigen. Gediente Reservisten werden während ihres Reservistendienstes geschult, ungediente Reservisten während der Reservistenqualifizierung oder der fünfwöchigen berufsspezifischen Zivilverteidigungsausbildung.

Beruf (ab 26 Jahre)

Auch für die Berufstätigen ist die sozialistische Wehrerziehung keineswegs beendet. Übernommen wird die Aufgabe nun von den jeweiligen Betrieben, von der SED-Grundorganisation, von den Reservistenkollektiven und Kampfgruppen, von der Zivilverteidigung und vom FDGB. Neben der Festigung des bisher Vermittelten geht es auch darum, Multiplikatoren für die Agitation zu werben und die Wehrbereitschaft- und fähigkeit zu erhalten. Zu diesem Zweck werden regelmäßig Reserveübungen durchgeführt. Darüber hinaus werden die Bürger in (para)militärische Organisationen integriert, beispielsweise als freiwillige Helfer im Grenzdienst oder in der Kampfgruppe. Für Paraden, Aufmärsche und Vereidigungen stellen die „Ehemaligen“ Abordnungen bereit.

4.2  Wehrbereitschaft und Bildungsweg

„Ich hab’ mich in der zehnten Klasse für 25 Jahre verpflichtet. Aus meinem Jahrgang haben alle Jungs mindestens die drei Jahre gemacht. Musste man, wenn man studieren wollte.“

Hartmut Geyer, Major der NVA a.D.

Eine wichtige Motivation für die Ableistung des Wehrdienstes war der Wunsch nach höherer Bildung oder – umgekehrt formuliert – die Angst, keine höhere Bildung zu erhalten, wenn man den Wehrdienst ablehnt. Leider ist in der Literatur fast ausschließlich von den Möglichkeiten eines Studiums die Rede. Informationen darüber, inwieweit sich die Wehrbereitschaft auf den Lebensweg von Lehrlingen oder Geringqualifizierten auswirkte, sind kaum vorhanden.

Vor 1962 wurden bei der Vergabe von Studienplätzen diejenigen bevorzugt, die freiwillig in der NVA oder anderen Armeeteilen gedient hatten. Nach Einführung der Wehrpflicht hatten diejenigen bessere Aussichten, die ihren Grundwehrdienst bereits geleistet hatten. Ab 1970 wurde dann ein drei- bis vierjähriger „freiwilliger“ Wehrdienst zur Voraussetzung für die Aufnahme eines Studiums; Studienbewerberinnen mussten während des Studiums die vormilitärische Ausbildung durchlaufen.

Wer sich als Soldat oder Unteroffizier auf drei Jahre verpflichtete, erhielt ein höheres Stipendium sowie die Sicherheit, den Wunschstudienplatz zu erhalten.

5 . WIDERSTAND DURCH WEHRDIENSTVERWEIGERUNG

5.1  Reaktionen auf die Einführung der Wehrpflicht

„Man will sich als junger Kerl ja auch beweisen. Da gibt‘s einen Ehrenkodex unter jungen Männern. ,Hast Du gedient?’

Wir waren diesem Staat dankbar. Wir hatten Frieden, gute Bildung, medizinische Versorgung. Davon konnten die Generationen vor uns nur träumen.

Man ist ein bisschen patriotisch. Die Männer dienen immer der Nation. Wenn man belobigt oder befördert wurde, hat man gesagt: ,Ich diene der Deutschen Demokratischen Republik’, – das hat man nicht umsonst gesagt.“

Hartmut Geyer, Major der NVA a.D.

Sowohl in der DDR als auch in der BRD gab es trotz des noch nicht lange zurückliegenden Zweiten Weltkriegs eine breite Akzeptanz des Militärs als männliche Sozialisationsinstanz, die jungen Männern Ordnung und Disziplin „einimpft“ und sie zu reifen, „vollwertigen“ Männern macht.Innerhalb der Kirchen gab es zum Thema Wehrpflicht unterschiedliche Auffassungen. „Einerseits betonte der Thüringer Landesbischof Moritz Mitzenheim im Januar 1962 in einem Pfarrerrundbrief ausdrücklich, dass der Staat das Recht habe, seine Bürger zum Wehrdienst zu verpflichten. Andererseits befand der Magdeburger Bischof Johannes Jähnicke in einem Brief an die Gemeinden, dass die Verweigerung des Dienstes an der Waffe ein Teil des christlichen Friedenszeugnisses sei.“„Neben einzelnen Persönlichkeiten (…) meldeten die Evangelische Kirchenleitung der Kirchenprovinz Sachsen sowie die Synode der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg schwere Bedenken an.“Es gab also eine kontroverse öffentliche Diskussion.

Anders bei der katholischen Kirche: Hier wurde von den Bischöfen lediglich eine Stellungnahme für den innerkirchlichen Gebrauch verfasst, die besagte, dass durch die Wehrpflicht die Religionsfreiheit nicht eingeschränkt werde und der Eid aufgrund seines fehlenden Gottesbezuges nicht in Konflikt zur katholischen Lehre stehe.

5.2  Totalverweigerung

Totalverweigerung bedeutet, dass der Betreffende sowohl den Waffendienst wie auch einen waffenlosen Wehrersatzdienst ablehnt. In der untenstehenden Grafik ist die Zahl der Totalverweigerer ab dem Geburtsjahrgang 1962 abgetragen:

Prinzipielle Wehrdienstverweigerer (nach Geburtsjahrgängen)

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Eigene Darstellung, Quelle: Pausch, Andreas (2004): S. 138.

Diese Angaben stammen von Andreas Pausch; er bezieht sich auf Daten der BStU (Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik).

Bernd Eisenfeld gibt die Zahl der Totalverweigerer von der Einführung der Wehrpflicht im Januar 1962 bis zum Ende der DDR mit 6000 an. Zum Ende der 1980er Jahre stieg die Zahl der Totalverweigerer stark an, was vor allem auf Wehrpflichtige mit Ausreiseantrag zurückzuführen ist.

Die Motive für die Totalverweigerung waren meist religiöser Natur. So waren beispielsweise von den 287 Wehrdienstverweigerungen im September 1962 253 religiös begründet. Es handelte sich zum großen Teil um Zeugen Jehovas, die den Wehrdienst aus der Überzeugung heraus ablehnten, kein Teil des Staates zu sein, sowie um evangelische Christen, die den Waffendienst nicht mit ihrem Bekenntnis vereinbaren konnten.

Die Totalverweigerung bedeutete ein hohes Risiko: „Wer grundsätzlich auch den Wehrersatzdienst ablehnt, kann von der Militärjustiz mit Haft bis zu fünf Jahren bestraft werden.“Die Straftatbestände waren dabei die „(…) Verletzung der Verteidigungsfähigkeit der DDR oder der Angriff und die Verletzung der Kampfkraft der Nationalen Volksarmee (…)“In der Praxis wurden bis Mitte der 1980er Jahre für die totale Verweigerung des Wehrdienstes meist zwischen 24 und 30 Monate Gefängnis verhängt, danach waren es in der Regel 18 bis 20 Monate. Davon waren während des Bestehens der DDR rund 3000 Wehrpflichtige betroffen.Häufig wurden die Verurteilten anschließend in die Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen.

Wenn aber nur etwa die Hälfte der Totalverweigerer rechtlich belangt wurde, so hatte die andere Hälfte keine strafrechtlichen Konsequenzen zu tragen. Es gab offenbar keine einheitliche Regelung für den Umgang mit Wehrdienstverweigerern: Teilweise wurden Totalverweigerer mit allen Mitteln verfolgt, teilweise wurden sie, nachdem sie bei der Musterung ihre Verweigerung erklärt hatten, gar nicht einberufen.

Eine grundsätzliche Klärung dieser Frage zeichnete sich 1983 ab, als Erich Honecker anwies, vorerst gar keine Einberufungsbefehle an bekannte Totalverweigerer auszugeben. Der Grund dafür war der 500. Geburtstag Martin Luthers, der von der Staatsführung feierlich begangen wurde und nicht durch eine Berichterstattung über die strafrechtliche Verfolgung von Pazifisten getrübt werden sollte. Schon im folgenden Jahr war die „Schonfrist“ vorbei und die ursprüngliche Regelung wurde wieder angewandt. Nach Protesten der UNO-Menschenrechtskommission, von Bürgern und der Kirche kehrte die DDR-Führung weitgehend zur Praxis von 1983 zurück und zog nur noch in sehr wenigen Fällen namentlich bekannte Totalverweigerer ein; Zeugen Jehovas wurden von der Einberufung generell ausgenommen.

Eine besondere Form der Totalverweigerung bewirkte das 1982 verabschiedete Wehrpflichtgesetz, nach dem im Verteidigungsfall auch Frauen zum Militärdienst herangezogen werden sollten. Über 200 Frauen kündigten an, sich der Erfassung und dem Wehrdienst zu verweigern. Aus diesem

Protest entwickelte sich die Bewegung „Frauen für den Frieden“.

5.3  Waffenloser Wehrersatzdienst – die „Spatensoldaten“

„Das waren zu 70 Prozent welche, die keinen Wehrdienst leisten wollten. Die wollten nicht den harten Drill mitmachen. Die waren auch im Ansehen rangmäßig ganz unten. Selbst Soldaten im Grundwehrdienst haben die als Drückeberger verachtet.

Und wir haben ihnen nicht getraut, falls mal der Ernstfall eintritt.“

Hartmut Geyer, Major der NVA a.D.

Entstehungsgeschichte der Bausoldateneinheiten

Am 12.03.1962 trafen sich zwei evangelische Bischöfe, Friedrich-Wilhelm Krummacher und Moritz Mitzenheim, mit Hans Seigewasser, seines Zeichens Staatssekretär für Kirchenfragen, und Willi Stoph, dem stellvertretenden Ministerpräsidenten der DDR. Besprochen wurde unter anderem die Möglichkeit der Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen. Obwohl die Regierungsvertreter das Ansinnen zurückwiesen, wurde zwei Jahre später, am 07.09.1964, die „Anordnung des Nationalen Verteidigungsrates der DDR über die Aufstellung von Baueinheiten im Bereich des Ministeriums für Nationale Verteidigung“ (AOBE) erlassen.

Was waren die Ursachen für diesen Sinneswandel? Zum einen ist die beständige Intervention der evangelischen Kirchen zu nennen. Da Walter Ulbricht gerade eine Entspannungspolitik gegenüber den Kirchen betrieb, schien dieses Zugeständnis der DDR-Regierung eine Möglichkeit, „demokratischen Sozialismus“ zu demonstrieren.

Zum anderen konnte die Führung mit der Bausoldatenregelung etwa die Hälfte der Verweigerungen kanalisieren und bisher „Unerreichbare“ in die militärische Disziplin einbinden. Darüber hinaus sollten zu diesem Zeitpunkt viele Militärbauten, insbesondere Flugplätze, errichtet werden.

Die genauen Entscheidungsabläufe innerhalb der SED lassen sich leider nicht mehr rekonstruieren, da das entsprechende Quellenmaterial – mitsamt Kopien – offenbar vom Ministerium für Staatssicherheit vernichtet wurde.

Struktur und Aufgaben

Es gab in der DDR verschiedene Arten des Wehrersatzdienstes, die in Artikel 25 des Wehrpflichtgesetzes aufgelistet waren: bei der Volks- oder Transportpolizei, beim Ministerium für Staatssicherheit, seit 1964 bei den Baueinheiten und ab 1978 bei der Zivilverteidigung. Die Einreihung des Dienstes bei den Baueinheiten unter die Polizei- und MfS-Dienste empfanden die Betroffenen als zynisch, da diese eine große ideologische Übereinstimmung mit dem SED-Regime voraussetzten – eine Einstellung, die ihnen fernlag.

Wer konnte nun also Bausoldat werden?

„Zum Dienst in den Baueinheiten werden solche Wehrpflichtigen herangezogen, die aus religiösen oder aus ähnlichen Gründen den Wehrdienst mit der Waffe ablehnen.“

AOBE Art. 4, Abs. 1

Die unscharfe Formulierung „aus ähnlichen Gründen“ ist nie genauer präzisiert worden, weshalb es beispielsweise für atheistische Pazifisten oder politische Oppositionelle schwer möglich war, sich darauf zu berufen; die Auslegung blieb damit den Behörden überlassen.Einen Rechtsanspruch auf Kriegsdienstverweigerung bedeutete dies nicht.

In Artikel 2, Absatz 1 der AOBE sind die von den Baueinheiten zu erbringenden „Arbeitsleistungen im Interesse der Deutschen Demokratischen Republik“ geregelt:

  1. Mitarbeit bei Straßen- und Verkehrsbauten sowie Ausbau von Verteidigungs- und sonstigen militärischen Anlagen;
  2. Beseitigung von Übungsschäden;
  3. Einsatz bei Katastrophen.

Abgesehen von der Ausbildung an Waffen, unterschieden sich die Ausbildungsaufgaben der Bausoldaten nach Artikel 6 der AOBE nicht von denen regulärer Soldaten.

Offizielle Ausgestaltung des Bausoldatendienstes

Zahlreiche Dienstvorschriften, Anordnungen und Durchführungsbestimmungen regelten die Ausgestaltung des Bausoldatendienstes. So geht aus der Durchführungsbestimmung zu DV 10/12b u. DV 66/8; Ausbildungsprogramm, Abschnitt „Allgemeines Ausbildungsziel“, Ziffer 1f deutlich hervor, dass die Baueinheiten aus Sicht des Militärs Straf- und Erziehungsbataillonen gleichkamen. Ausbildungsziel sei es (…),

„die Angehörigen der Baueinheiten (…) zu erziehen: – zur Ergebenheit gegenüber der DDR, dem einzig rechtmäßigen deutschen Staat, zur SED und zu ihrem Gelöbnis“, und zwar durch „(…) zielstrebige Durchsetzung einer straffen Disziplin und Ordnung im gesamten Erziehungs-, Ausbildungs- und Arbeitsprozess; (…) straffe, organisierte und ununterbrochene Leitung der Arbeitseinsätze und der Ausbildung durch die Kommandeure; (…) und Nichtzulassen von Erleichterungen und Schablonen in der Ausbildung.“

Der Dienst der Bausoldaten dauerte – genau wie der reguläre Wehrdienst – 18 Monate. Mindestens ein Drittel der Ausbildung musste politisch-ideologischer Natur sein; Bausoldaten waren von bestimmten Belobigungsarten wie dem Fotografieren vor der Gruppenfahne ausgeschlossen; sie durften nicht in andere Mannschaftsdienstgrade befördert werden. Ihre Vorgesetzten waren reguläre Soldaten und (Unter-)Offiziere.

Die Baueinheiten legten keinen Fahneneid ab, sondern ein Gelöbnis, das allerdings viele von ihnen in Gewissensnöte brachte, denn es verlangte, zur Verteidigungsleistung der NVA und der verbündeten Staaten beizutragen, unbedingten Gehorsam gegenüber den Vorgesetzten zu leisten und die militärischen Bestimmungen zu befolgen.Die Verweigerung des Gelöbnisses zog Haftstrafen bis zu sieben Monaten nach sich.

Inoffizielle Ausgestaltung des Bausoldatendienstes

In der Praxis wurde es den Bausoldaten schwer gemacht, ihren Dienst abzuleisten. So wurden sie generell möglichst heimatfern eingesetzt, damit die Heimfahrt beim Wochenendurlaub möglichst lange dauerte. Bausoldaten durften während des Ausgangs keine Zivilkleidung tragen; der Ausgang wurde ihnen häufig nur als Belohnung für besondere Arbeitsleistungen gewährt und wurde oft kurzfristig gestrichen. Jegliche religiöse Betätigung wurde geahndet; der gruppenweise Ausgang zum Sonntagsgottesdienst war nur in Einzelfällen gestattet.

Die Isolation vom gewohnten sozialen Umfeld traf die Bausoldaten umso härter, da sie meist älter waren als andere Wehrpflichtige. Das Durchschnittsalter lag häufig zwischen 23 und 28 Jahren. Dies lag einerseits am 18-monatigen Einberufungszyklus und dem hohen „Überhang“ von erklärten Wehrdienstverweigerern, für die die Planstellen nicht ausreichten; andererseits darf dahinter auch Kalkül vermutet werden, denn die Betroffenen hatten häufig schon Frau und Kinder und waren beruflich fest verankert, so dass die Ableistung des Dienstes für sie eine tiefe Zäsur in ihrem Leben bedeutete.

Zudem fiel es den „gestandenen“ Männern schwerer, sich der Disziplin und den Befehlen der Vorgesetzten zu unterwerfen.Zusätzlich erschwert wurde die Situation dadurch, dass die Bausoldaten von den regulären Wehrdienstleistungen isoliert und von Vorgesetzten gelegentlich als „Kriminelle“ und „Homosexuelle“ diffamiert wurden.

Auch auf den weiteren Lebensweg, insbesondere auf die Bildungsmöglichkeiten, hatte die Entscheidung für den waffenlosen Wehrersatzdienst Auswirkungen: „Entgegen einer Darstellung des SED-Generalsekretärs Erich Honecker, wonach Bausoldaten alle Bildungswege in der DDR offenstehen, sind bis Ende 1988 Fälle aktenkundig, in denen erklärte oder gediente Bausoldaten beim Zugang zu Hoch- und Fachhochschulstudium, Facharztausbildung bzw. berufsspezifischer Qualifikation behindert worden sind.“Es sind sogar Berufsverbote und -einschränkungen bekannt; grundsätzlich konnten sich die Bausoldaten nie sicher sein, ob sie nach Ableistung ihres Dienstes noch studieren oder ihren Wunschberuf ausüben konnten.

Motive für die Ableistung des waffenlosen Wehrersatzdienstes

Wenn die Bedingungen für Bausoldaten so schlecht waren, warum meldeten sich die jungen Männer dafür?

Die Motive waren religiöser, politisch-oppositioneller oder pazifistischer Natur und unterlagen einem Wandel. Von 1964 bis Mitte der 1970er Jahre waren religiöse Motive vorherrschend. Insgesamt waren über 90 Prozent der Bausoldaten konfessionell gebunden, zwei Drittel davon waren evangelische Christen, ein Drittel setzte sich aus Mitgliedern der Freikirchen, Siebenten-Tags-Adventisten, Katholiken und zu einem sehr geringen Teil aus Zeugen Jehovas zusammen.

Ab Mitte der 1970er bis in die 1980er Jahre verringerte sich der Anteil religiös motivierter Bausoldaten. 1973 waren noch 74 Prozent der waffenlosen Wehrdienstleistenden konfessionell gebunden, 1979 waren es 20 Pro zent. Rund die Hälfte der Bausoldaten hatte nun politische Gründe für die Waffendienstverweigerung. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Friedensbewegungen der 1980er Jahre wie „Schwerter zu Pflugscharen“ auch von nichtreligiösen Jugendlichen unterstützt wurden; zudem stieg die Zahl derjenigen, die einen Ausreiseantrag stellten und damit deutlich zu verstehen gaben, dass sie mit der politischen Situation unzufrieden waren. Laut einer Einschätzung der Evangelischen Kirchen waren 1988 und 1989 die Hälfte der Bausoldaten Ausreiseantragsteller.

Schließlich erhöhte sich auch der Anteil „unangepasster“ Gruppen bei den Bausoldaten, etwa Punks oder auch Skinheads und Neonazis, die aus antikommunistischen Motiven heraus den Bausoldatendienst wählten.Anteil der Bausoldaten an der wehrpflichtigen Bevölkerung

Wie die nachstehende Grafik zeigt, handelt es sich bei den Bausoldaten um eine verschwindend geringe Minderheit:

Zum Dienst als Bausoldat erklärte Wehrpflichtige ( nach Geburtsjahrgängen )

Image

Eigene Darstellung, Quelle: Pausch, Andreas (2004): S. 138.

Die Musterungskommissionen ermittelten, dass „(…) in den Jahren 1964 bis 1975 durchschnittlich 0,2% der Geburtsjahrgänge 1946 bis 1957 den Dienst ohne Waffe leisten wollten (…). In den Jahren 1976 bis 1983 (Geburtsjahrgänge 1958 bis 1965) wuchsen sowohl die Jahrgangsstärken (…) als auch die Anträge auf den Dienst ohne Waffe (0,3%…). Ab 1984 nahm die Prozentzahl bei schwindenden Jahrgangsstärken (…) jährlich stetig zu bis auf schließlich 1,4 Prozent (…)“

Bernd Eisenfeld gibt an, es hätten sich in 25 Jahren rund 27.000 junge Männer für den Bausoldatendienst gemeldet, von denen jedoch nur 15.000 als Bausoldaten eingezogen wurden.Das ergibt für die gesamte Zeit, in der die Wehrpflicht in der DDR galt, einen 0,6-prozentigen Anteil von Bausoldaten an allen Wehrdienstleistenden.

Widerständiges Verhalten von Bausoldaten

„Die haben genervt, sich über alles und jeden beschwert. Die konnten die Vorschriften besser auswendig als jeder andere Soldat. Und der Politoffizier musste erst mal die Bibel lesen, damit er mit denen diskutieren konnte.“

Hartmut Geyer, Major der NVA a.D.

Bei widerständigem Verhalten von Bausoldaten handelte es sich meist um offene Systemkritik, überwiegend in Form von Eingaben und Beschwerden.Tatsächlich machten Bausoldaten überproportional häufig Eingaben.Hauptkritikpunkte waren die Beteiligung am Bau militärischer Anlagen so wie das Gelöbnis.Auch die Beteiligung an politischen Diskussionen sowie der Boykott von Wahlen beziehungsweise die Abgabe von Neinstimmen zur Einheitsliste gehörten zum Widerstandsrepertoire der Bausoldaten.Als extremste Form des Widerstands wurden Arbeits- und Befehlsverweigerungen mit Disziplinarstrafen oder sogar mit Haft im Militärgefängnis bestraft.

6 . FAZIT

Zum Abschluss möchte ich noch einmal auf die beiden einleitenden Fragen zurückkommen: Wie hat es die DDR geschafft, dass sich junge Männer für die Armee verpflichteten, ob nun für anderthalb, für drei oder eben für 25  Jahre?

Die Antwort darauf lautet: Mit Zuckerbrot und Peitsche. Das DDRRegime gerierte sich als das friedlichere Deutschland und vermittelte seinen Bürgern schon ab der Kinderkrippe ein Weltbild, in dem der eigene Staat als bedroht dargestellt und die Notwendigkeit der Verteidigung großgeschrieben wurde.

Neben der staatlichen institutionellen Erziehung boten Pionierorganisation und GST vielfältige, attraktive Freizeitaktivitäten, die en passant eine vormilitärische und ideologische Ausbildung vermittelten. Denjenigen, die sich freiwillig zu einem drei- oder vierjährigen Wehrdienst verpflichteten, wurden zudem bessere Bildungsmöglichkeiten und damit eine größere Chance auf eine gute Karriere in Aussicht gestellt.

Die andere Seite der Medaille ist die – mal mehr, mal weniger konsequent durchgeführte – Praxis, „Abweichler“ auszugrenzen und zu bestrafen, indem man ihnen den Zugang zu Bildungsangeboten erschwerte und sie im Extremfall kriminalisierte.

Viele sahen den Wehrdienst allerdings als etwas Normales an, als etwas, „durch das ein Mann eben durch muss“. Doch was war mit jenen, die anders dachten? Welche Möglichkeiten gab es für diejenigen, die den bewaffneten Dienst ablehnten?

Es gab zum einen die Möglichkeit, den Wehrdienst komplett zu verweigern – und dann die Konsequenzen zu tragen. Das Regime ging keineswegs einheitlich mit Totalverweigerern um; die Unsicherheit über die Folgen der eigenen Entscheidung war für die Betroffenen enorm, da von der Nichteinberufung bis zu Gefängnis und Abschiebung alles möglich war.

Für alle, die den Wehrdienst nicht komplett verweigern konnten oder wollten, lautete die Alternative: Dienst bei den Baueinheiten. Diese Möglichkeit gab es im Warschauer Pakt nur in der DDR; es bestand allerdings kein Rechtsanspruch darauf und der Dienst wurde – entgegen der offiziellen Linie – so ausgestaltet, dass er möglichst unangenehm war: von der späten Einberufung über restriktive Urlaubs- und Ausgangsregelungen bis zum Verbot religiöser Betätigung in der Kaserne. Auch hier waren die Auswirkungen auf das spätere Leben, auf Studium und/oder Beruf kaum abzusehen, da die Entscheidungen des Regimes uneinheitlich und damit willkürlich getroffen wurden.