Zur Aufgabe der Bildungsinstitutionen bei der Erziehung mündiger Bürger
Thomas Feist
„Schon im Kindergarten laufen sie im gleichen Schritt, einer läuft vorneweg, die anderen laufen mit. Im Sandkasten kämpfen sie manche Schlacht, denn es ist ja so schön, wenn´s donnert und kracht. So wachsen sie auf – ohne Sorgen, die Kinder von heute, die Soldaten von morgen“.
1982 konnte eine Textzeile wie diese über Bildungsbiographien entscheiden. Nach einer Vorladung durch die Leitung der EOS „Karl Marx“ wurde den Schülern Katrin V. und Jürgen K. erklärt, dass nur eine sofortige und dauerhafte Distanzierung von der kirchennahen Musikgruppe „Kaktus“, die diesen Songtext im Programm hatte, ihre Suspendierung von der Schule verhindern könne. Sie stimmten dem zu – leicht fiel es ihnen allerdings nicht. Sie, die in der „Jungen Gemeinde“ der Christuskirche Eutritzsch den Versuch unternahmen, das freie Gewissen, das freie Wort, den aufrechten Gang zu üben, wurden vor die Alternative gestellt: dem Gewissen folgend das Abitur „in den Wind zu schreiben“ oder dem Druck staatlicher Organe nachzugeben und zu schweigen. Junge Menschen sind zuweilen impulsiv, gelegentlich starrköpfig und manchmal auflehnend. Es stand die Frage im Raum: Lohnt sich das Märtyrertum um eines Liedtextes willen, der mit hoher Wahrscheinlichkeit sowieso nur im geschützten Raum der Kirche seine Zuhörer finden konnte? Zeit zum Nachdenken gab es nicht. Die Schulleitung wollte sofort eine Antwort und eine grundsätzliche Entscheidung. Denn Schule war in der DDR weit mehr als nur Lernort. Sie war Erziehungsanstalt für „sozialistische Persönlichkeiten“, für die „Kampfreserve der Partei“. Partei- und Staatschef Erich Honecker beschrieb die Aufgabe der Schulen 1985 wie folgt:
„Nur haben wir uns im Gegensatz zur Bourgeoisie, die die ideologische Funktion ihrer Schule leugnet, stets offen zur politischen Zielstellung unserer Schule bekannt. […] Unsere Schule hat die Aufgabe, den jungen Menschen unsere Ideologie, die wissenschaftlich begründete Ideologie der Arbeiterklasse zu vermitteln [ …]. Die Bildung und Erziehung in unserer Schule ist voll und ganz an unserer Ideologie ausgerichtet.“
Auflehnung wurde mit Sanktionen bestraft. So simpel war die Logik des Sozialismus. Auf der Liste der Sanktionsbegründungen fanden sich unter anderem folgende Punkte:
„Selbständiges Produzieren feindlich-negativer Auffassungen, z. B. in Form politisch-negativer Witze, Sketche, Lieder, Losungen oder Sprechchöre“
„Bildung von Gruppierungen, deren Charakter durch gemeinsame feindlichnegative Auffassungen geprägt ist, zum Beispiel im Rahmen religiöser Tätigkeit“
„Die Kinder von heute – die Soldaten von morgen“ – eigentlich eine treffliche Beschreibung dessen, was als Ziel der sozialistischen Erziehung zu erkennen war. Bereits im Kindergarten gehörte die Indoktrination durch pädagogisch verbrämte Propaganda und die Militarisierung durch Kriegsspielzeug und NVA-Werbematerial zum Alltag. Sie waren untrennbarer Bestandteil der frühzeitigen Kollektivierung und Vorbereitung auf das Leben im Kollektiv, einhergehend mit dem Zurückdrängen kindlicher Selbständigkeit und Individualität. Nicht immer deckte sich dieser Anspruch mit der Realität in den Kindergärten der Deutschen Demokratischen Republik – als Ziel war er jedoch über allen Versuchen, die sozialistische Staatsdoktrin zum Leitbild für alle Bürger geltend zu machen – faktische Anleitung zum Handeln in allen Bereichen des Erziehungs- und Bildungssystems dieses untergegangenen Landes.
Es bedeutete den Verantwortlichen sehr viel, dass sie exklusiv entscheiden konnten, was im Rahmen der Erziehung „sozialistischer Persönlichkeiten“ seinen Platz hatte und was als Störung des staatlichen Erziehungsmonopols sanktioniert wurde. Es zeigt sich anschaulich an diesem eigentlich harmlosen Vorfall. Denn offensichtlich war es nicht die Feststellung im erwähnten Liedtext, dass die Kinder von heute die Soldaten von morgen sind, sondern die dahinter (zu Recht) vermutete Absicht des Autors, dieses Erziehungsmodell in Frage zu stellen.
Als Verfasser dieser Zeilen musste ich die Entscheidung meiner beiden Freunde, unser gemeinsames musikalisches Projekt wegen des angedrohten Schulverweises zu verlassen, akzeptieren. Unserer Freundschaft zuliebe, die eben keinen ideologischen Zwängen unterworfen war und daher die Not der Entscheidung nachvollziehen und mittragen konnte, wenn auch schweren Herzens.
Der Song über die bereits im Kindesalter einsetzende vormilitärische Erziehung war übrigens bis zur Auflösung des Musikkabaretts Kaktus im Jahr 1993 in unserem Programm. Es war unser deutlichster Einspruch gegen das sozialistische Erziehungsmodell, wie es im 1965 verabschiedeten „Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem“ festgeschrieben war. Dort heißt es:
„Die Schüler, Lehrlinge und Studenten sind zur Liebe zur Deutschen Demokratischen Republik und zum Stolz auf die Errungenschaften des Sozialismus zu erziehen, um bereit zu sein, alle Kräfte der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen, den sozialistischen Staat zu stärken und zu verteidigen. Sie sollen die Lehren aus der deutschen Arbeiterbewegung begreifen. Sie sind im Geiste des Friedens und der Völkerfreundschaft, des sozialistischen Patriotismus und Internationalismus zu erziehen.“
„Die Kinder von heute – die Soldaten von morgen“ – ein einfacher Text, der so große Auswirkungen auf die Lebensrealität junger Menschen hatte. Der Widerspruch einlegte, anstößig war. Der im Raum der Kirche zu den Botschaften gehörte, die unsere Zuhörer am begierigsten aufsogen – auch die uns über einen langen Zeitraum bei jedem Konzert begleitenden StasiMitarbeiter. Der bei Auftritten außerhalb der Kirche steter Diskussionspunkt innerhalb unserer Musikgruppe war. Dürfen wir uns das trauen? Müssen wir mit dem Kopf durch die Wand? Wir risikoreich ist diese Provokation? Und den wir nach ausgiebigem Abwägen gegensätzlicher Argumente dann doch immer spielten – mit der Warnung Bettina Wegners „Leute ohne Rück grat hab’n wir schon genug“ im Hinterkopf: vor der Einstufungskommission (die uns nach dem Vorspiel kurioserweise den Titel „Volkskunstkollektiv mit Auszeichnung“ verlieh), auf Vermittlung der Konzert- und Gastspieldirektion in der Ausbildungsstätte für „Abschnittsbevollmächtigte“ in Wolfen im August 1989 mit einer anschließenden heftigen Diskussion und auf dem Marktplatz in Leipzig am 4. September 1989 – kurz vor der Montagsdemonstration rund um die Nikolaikirche.
„Die Kinder von heute – die Soldaten von morgen“ – diesen Liedtext habe ich, zusammen mit den Erinnerungen an die Kollektivierungsanstrengungen des DDR-Erziehungssystems, auch heute noch im Hinterkopf. Wenn es darum geht, wie viel Erziehungsleistung der Staat übernehmen soll. Bei Debatten über die Wichtigkeit möglichst frühzeitiger Unterbringung von Kindern in Kindertagesstätten. Bei Kontroversen zu politischen Zielsetzungen und Maßnahmen. Bei Diskussionen über Konformität und Individualität.
Politische Debatten über das Erziehungs- und Bildungssystem lassen immer auch die jeweils vorherrschende Programmatik der Parteien durchschimmern. Eine entscheidende Frage ist hierbei immer der Umfang elterlicher Erziehung und Bildung und der Erziehungs- und Bildungsauftrag staatlicher Institutionen. Wenn ich an dieser Stelle einmal an die mit teilweise sehr harten Bandagen geführte Auseinandersetzung über die Zielsetzung und die Sinnhaftigkeit des Betreuungsgeldes erinnern darf, weiß sicherlich jeder, worauf ich hinauswill.
Ich kann und will meine Herkunft weder verleugnen noch vergessen. Dies gilt auch für meine Anschauungen darüber, was in der Schule unterrichtet werden soll und welche Rolle die Eltern im Erziehungs- und Bildungs prozess einnehmen. Alles, was Kinder betrifft, ist auch eine notwendige Angelegenheit der Eltern. Dies wussten natürlich auch die Bildungsverantwortlichen der DDR. Sie nahmen Eltern wortwörtlich in Haftung für das Verhalten ihrer Kinder. Und das nicht zufällig, sondern mit System. Im § 32 der Schulordnung der DDR hieß es dazu:
„In der allgemeinbildenden Schule werden die Eltern bei der Verhängung von Schulstrafen einbezogen: durch eine vorherige Anhörung und die Information über die ausgesprochene Schulstrafe, bei Umschulungen und Ausschluss des Kindes aus der erweiterten Oberschule. Über diese beiden letzteren schweren Fälle werden auch die Betriebe unterrichtet, in denen die Eltern arbeiten, so daß die Elternerziehung auch unter diese Kontrolle gestellt wird“.
Ich habe die Auswirkungen dieser Regelungen in der eigenen Biographie mehrmals erlebt und bin dadurch besonders sensibilisiert worden. Meine Verweigerung der Teilnahme am Wehrkundeunterricht in den Klassen 9 und 10 zog als disziplinarische Maßnahme den Umstand nach sich, dass ich „bei den Mädchen mitmachen musste“. Nun gibt es ja für männliche Teenager sicher schlimmere Strafen. Nicht außer Acht gelassen werden sollte daher der Umstand, dass mit meinen Eltern etliche Gespräche geführt wurden, ihre offensichtlich mangelhafte Erziehungsleistung betreffend.
Die Verantwortung zu einer Erziehung in Freiheit und zur Freiheit des mündigen Bürgers hin war in der DDR eine besonders beachtenswerte Leistung von Eltern, die auch in schwierigen Situationen zu den Entscheidungen ihrer heranwachsenden Kindern standen. Und ich habe meinen Eltern schwierige Situationen nicht erspart. Sie können es sich selbst vorstellen, was es für sie und ihr berufliches Fortkommen bedeutet hat, wenn ich aus disziplinarischen Gründen nicht in die FDJ aufgenommen wurde und in der 9. Klasse den Wehrdienst aus Gewissensgründen total verweigerte. Besonders dieser Umstand hat – neben den Versuchen der Staatsmacht, über den elterlichen Einfluss eine Änderung meiner Entscheidung herbeizuführen – einen prägenden Einfluss auf meine Bildungsbiographie ausgeübt. Und natürlich hatte diese Entscheidung auch erhebliche Auswirkungen auf die Lehrer an meiner Schule, besonders auf meinen Geschichtslehrer, dem offensichtliches Versagen vorgeworfen wurde. Konnte er doch nicht unbeteiligt an dieser Fehlentwicklung meiner Persönlichkeit sein. Seine Aufgabe wäre es gewesen, mir ein korrektes Geschichtsbild zu vermitteln. Korrekt hieß hier nichts anderes als nach der besonderen Lesart der sozialistischen Bildungsexperten, die wie folgt lautete:
Im Geschichtsunterricht […] wird ein konkretes, wissenschaftliches und parteiliches Geschichtsbild vermittelt […]. Der Geschichtsunterricht beruht auf den Positionen der marxistisch-leninistischen Geschichtsbetrachtung. […] Geschichtsunterricht hat einen entscheidenden Anteil an der Herausbildung des sozialistischen Geschichtsbewusstseins der Schüler. Er fundiert so den Klassenstandpunkt, vertieft ihre Liebe zum sozialistischen Vaterland, erzieht zum sozialistischen Patriotismus […], festigt ihre antiimperialistische Grundhaltung […]. Er leistet einen spezifischen Beitrag zu ihrer politisch-ideologischen Erziehung.“
Das diesem Prinzip unterstehende Schulsystem war im gesamten Staatsgebiet einheitlich geregelt und teilte sich in die zehnklassige POS mit Unter-, Mittel- und Oberstufe sowie die EOS, die zum Abitur führte. Das System war straff zentralistisch gegliedert, der Staat und damit die SED kontrollierte jede Ebene – von der Gesetzgebung über Lehrpläne bis hin zu Kontrollgremien auf Bezirks- und Kreisebene. Der totalitäre politische Einfluss des sozialistischen Staates endete allerdings nicht mit dem Verlassen der Schule. Er war als Aufgabe formuliert, die das Leben in seiner Gesamtheit beeinflusste und steuerte. Am nachhaltigsten konnte dieser Anspruch dort umgesetzt werden, wo der Staat den direkten Zugriff auf heranwachsende Menschen hatte: in den Kindererziehungseinrichtungen, den Schulen, den Universitäten und in der beruflichen Bildung.
Für die meisten Studenten war eine sogenannte „freiwillige Verpflichtung“ für die dreijährige Dienstzeit bei der NVA gängige Voraussetzung für ein Studium. Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel. Die SED-treue Jugendorganisation FDJ hatte einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Realisierbarkeit des Studierwunsches junger Menschen. Im § 22 des Jugendgesetzes der DDR war dies mit folgenden Worten festgeschrieben:
„Die Zulassung zum Studium erfolgt nach den erforderlichen fachlichen und gesellschaftlichen Leistungen in Übereinstimmung mit den Bedürfnissen der sozialistischen Gesellschaft und unter Berücksichtigung der sozialen Struktur der Bevölkerung. Die Leitungen der Freien Deutschen Jugend sind berechtigt, über die Zulassung zum Studium mitzuentscheiden.“
Dieser Einfluss der FDJ wurde mit aller Macht und allen Mitteln durchgesetzt. Dabei wurden die Jugendfunktionäre tatkräftig von Informanten der Staatssicherheit unterstützt, an denen an der Karl-Marx-Universität Leipzig – die auch die „Rote Universität“ genannt wurde – beileibe kein Mangel herrschte. Einige dieser Spitzel sind bis heute aktiv – wenn auch in anderen Funktionen und Ämtern.
Dass ich ausgerechnet an der Karl-Marx-Universität eine Berufsausbildung beginnen konnte, war neben dem in der DDR unerlässlichen „Vitamin B“ einem weiteren kuriosen Umstand meiner Biographie geschuldet. Als Nichtmitglied der FDJ war es eigentlich undenkbar, an der „Roten Universität“ ein Lehrverhältnis zu begründen. Ich hatte mich jedoch freiwillig als Kassierer der FDJ-Beiträge meiner Klasse gemeldet und konnte nun in meine Bewerbung den entscheidenden Satz einfügen: „Bin in meinem Klassenkollektiv als FDJ-Kassierer tätig.“ Die in der DDR gängige Sanktionierung der – wie es hieß – „Ablehnung der Übernahme gesellschaftlicher Funktionen bzw. ihrer formalen Erfüllung aus negativen politischen oder egoistischen Motiven“ wie auch die Frage des Vertreters des Lehrbetriebs, ob ich Mitglied der FDJ sei, entfielen somit in für mich zufriedenstellender Weise. Doch damit waren nicht alle Schwierigkeiten im Zusammenhang mit meiner Ausbildung zum Heizungsinstallateur an der Karl-Marx-Universität Leipzig ausgeräumt.
Das Recht auf Berufsbildung war in der DDR verknüpft mit der sogenannten Ehrenpflicht aller Bürger, das sozialistische Vaterland und die sozialistische Staatengemeinschaft zu verteidigen. Im §141, Abs. 3, Satz 2 des Arbeitsgesetzes der DDR hieß es dazu:
„Daher wird der Lehrling verpflichtet, während des Lehrverhältnisses an der vormilitärischen Ausbildung teilzunehmen, sich militärpolitische und militärfachliche Kenntnisse und Fähigkeiten anzueignen bzw. an den Maßnahmen der Zivilverteidigung mitzuwirken. […] Ihm kann der Betrieb kündigen, wenn er aufgrund [ …] schwerwiegender Verletzung staatsbürgerlicher Pflichten für den vereinbarten Ausbildungsberuf nicht geeignet ist.“
Ein weiteres Damoklesschwert für jemanden, der aus Gewissensgründen den Umgang mit der Waffe wie auch den kompletten Wehrdienst in der DDR verweigert hat. In einem Gesellschaftssystem, das Konformität als Generaltugend ausrief und in dem die individuelle Gewissensentscheidung staatliches Misstrauen hervorrief, war es so gut wie unmöglich, sich der Militarisierung der beruflichen Ausbildung zu entziehen, wollte man einen Berufsabschluss erlangen. Im DDR-Bildungssystem, in dem Abweichungen von der Norm strenger und kritischer Beobachtung unterlagen, erfolgte in der Regel zunächst das stufenweise „Weichkochen“ des „Abweichlers“ durch den Klassenverband im Rahmen „freundschaftlicher Diskussionen“. In meinem Fall wurde mir von meinen Mitschülern und Lehrern vorgehalten, dass eine Weigerung meinerseits eine Sanktionierung des gesamten Klassenverbandes nach sich ziehen würde – ein anschauliches Beispiel des Praktizierens von Kollektivstrafen in der DDR. Bei mir blieb es bei der Androhung einer solchen. Ich wollte meine Mitschüler diesem übergroßen Druck nicht aussetzen, schließlich konnte ich die Verantwortung für eigenes Handeln nicht auf alle Unbeteiligten ausdehnen. Ich fand mit meinem Klassenlehrer einen Kompromiss, indem ich ihm erlaubte, an meiner Stelle die Schießübungen zu absolvieren und die Ergebnisse unter meinem Namen in die dafür vorgesehenen Listen einzutragen. Möglicherweise ein fauler Kompromiss, aber ein notwendiger. Noch dazu mit einem erstaunlichen Ergebnis, denn so wurde ich unter der schmunzelnden Kenntnisnahme meiner Mitschüler „Schützenkönig“ meiner Berufsschulklasse.
Diese und andere Geschichten meiner Biographie gehen mir durch den Kopf, wenn ich mit meinen Kollegen über Freiheit und Verantwortung in Bildungsprozessen diskutiere, wenn ich mit ihnen über die Begriffe „Bildungsgerechtigkeit“, „Bildungschancen“ und gesellschaftliche Normen rede, bisweilen auch leidenschaftlich streite.
Ich bin zu der Erkenntnis gelangt, dass das Streiten über gute Bildung für alle, über den Wert elterlicher Erziehung und familiärer Vorbilder vorurteilsfrei erfolgen muss. Nur so lassen sich staatliche Maßnahmen zur Unterstützung der Bildung und der Erziehung zur Freiheit glaubhaft mitgestalten. Solche Gespräche führen nur dann zum Ziel, wenn sie frei von Ideologie und Rechthaberei sind.
Ich nehme aber auch zur Kenntnis, dass gerade Bildungsdiskussionen in der politischen Auseinandersetzung ideologisch hoch aufgeladene Themenfelder sind und dass in jeder Diskussion auch die persönliche Bildungsbiographie eine wichtige, nicht zu unterschätzende Rolle spielt. Dies sehen wir aktuell in der Auseinandersetzung über die Gleichwertigkeit beruflicher und akademischer Bildung, über die Durchlässigkeit unseres Bildungssystems und über mehr zentralisierte Verantwortung für unser Schulsystem.
Als ausgebildeter Heizungsmonteur und promovierter Musikwissenschaftler spreche ich über die Gleichwertigkeit von Bildungsabschlüssen und die Durchlässigkeit von Bildungswegen aus eigener, sehr persönlicher und daher eher positiv eingestellter Sichtweise auf unser Bildungssystem.
Aus eben diesen auch persönlich begründeten Motiven stehe ich allerdings einer Zentralisierung des Schulwesens mehr als skeptisch gegenüber. Dabei steht nicht die Befürchtung im Vordergrund, wir könnten zu ähnlichen Verhältnissen wie im zentral gelenkten Bildungssystem der DDR kommen, das im gesamten Staatsgebiet einheitlich geregelt und straff zentralistisch gegliedert war, in dem der Staat jede Ebene – von der Gesetzgebung über Lehrpläne bis hin zu den Kontrollgremien – maßgeblich beeinflussen konnte und dies vehement tat. Es geht mir auch weniger um die Gefahr, dass wir zu einem Bildungssystem zurückkehren könnten, bei dem die unterschwellige und oft auch offensichtliche Einflechtung ideologischer Komponenten in die verschiedensten Unterrichtsfächer an der Tagesordnung war.
Ich möchte auch nicht nur ein persönliches Schreckensszenario vermeiden: dass in einer hypothetisch möglichen Koalition von SPD und Linkspartei Sarah Wagenknecht als Bildungsministerin die zentrale Kontrolle über die Bildung in Deutschland erhalten könnte.
Eine folgenschwere Nachwirkung meiner persönlichen Bildungsbiographie besteht bis heute und täglich neu darin, dass ich mit großer Motivation, nicht nachlassender Anstrengung und anhaltender Begeisterung für eine wirklich freie und freiheitliche Bildung und Erziehung streite und arbeite. Als Maßstab gilt für mich, alle möglichen und zuweilen auch die noch nicht für möglich gehaltenen Chancen und Wege einer auf Freiheit und Verantwortung beruhenden Kooperation von Schule und Eltern zum Besten unserer Kinder auszuloten und realisieren zu helfen. Dies betrachte ich als meinen persönlichen Beitrag für eine Erziehung junger Menschen hin zu freien, selbstbewussten und kritisch reflektierenden Bürgern – mündigen Bürgern, die die Gestalt unserer Gesellschaft bestimmen und sich einmischen, wo es nötig ist.