Aufgaben der Studentengemeinden heute aus der Sicht eines Studentenpfarrers
Clemens Blattert
Diese Frage, die im Rahmen der Belter Dialoge 2011 an uns, die Katholische Studentengemeinde Leipzig (KSG) gerichtet wurde, nutze ich als Studentenpfarrer gern, um mit einigen Skizzen zu reflektieren, was wir als Studentengemeinde in Leipzig konkret sind oder sein wollen. Ich selbst bin im katholisch geprägten Südbaden aufgewachsen und habe selbst keine Berührungspunkte zur DDR gehabt. Aber auch die meisten Studierenden, die momentan die KSG mittragen und besuchen wurden zwischen den Jahren 1987 bis 1992 geboren. Doch was die Studierenden, die hauptsächlich aus den ostdeutschen Bundesländern stammen, durch ihre katholische Sozialisation mitbringen ist, dass sie wissen: „Wir müssen uns einbringen, sonst läuft nichts.” Das liegt in der Tatsache der starken Entchristlichung von Ostdeutschland begründet. Die Diasporasituation ist aus meiner Sicht nicht zum Nachteil, sondern fördert genau das, was ich von einer christlichen Gemeinde in einer säkularen Welt erwarte. Dazu möchte ich nicht im vorgeschlagenen Bild bleiben, sondern das Bild des Sauerteigs wählen. Was ist ein Sauerteig? Wenn man ein Sauerteigbrot bäckt, muss man zuerst einige Tage vor dem Backen einen separaten Sauerteig herstellen. Dieser kann dann unter das Mehl gemischt werden. Er verleiht dem Brot Geschmack, wirkt als Triebmittel und hält vor allem das Brot frisch. Aus diesem Bild ergeben sich zwei Merkmale für die Studentengemeinde. Sie soll einerseits eine Art Parallelgesellschaft sein, ein geschützter Raum, in dem die Studierenden sich als Persönlichkeiten ausprobieren und reifen können, in dem eine geistige Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Themen stattfindet, aber vor allem auch geistlich geprägte Menschen heranwachsen. Aber der Sauerteig hat damit sein Ziel noch nicht erreicht. Er muss unter das Mehl gemischt werden. Die Studierenden sollen motiviert werden, Verantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen, sie aus dem Geist des Evangeliums mitprägen. Das heißt, sie sollen kritisch die Gesellschaft prüfen, in der sie leben. Das Gute, das in einer Gesellschaft geschieht, sollen sie unterstützen, anderes kritisieren und versuchen durch konkretes Engagement die Gesellschaft weiterzuentwickeln. Dies kann nur dann gelingen, wenn eine Gemeinde den Kontakt mit dem Evangelium pflegt. Sie kann nur Sauerteig sein, wenn sie sich zuvor selbst von Jesus Christus durchsäuern ließ. Die Fruchtbarkeit des Apostolates hängt entscheidend davon ab. Daraus ergeben sich meiner Meinung nach folgende vier Kernbereiche für das Leben einer christlichen Gemeinde: Gemeinschaft, Liturgie, Sprachfähigkeit, Caritas. Diese vier Bereiche müssen in einer Gemeinde gelebt werden, damit diese lebendig ist und auf andere eine erfrischende Kraft ausüben kann. Sie bedeuten
1. Gemeinschaft: Austausch mit Gleichgesinnten, vielfältige Beziehungen zu leben lernen, dazu gehören ein reflektierter Umgang mit der eigenen Sexualität, und ein Verständnis von dem, was Treue meint
2. Liturgie: Ich muss eine persönliche Erfahrung mit diesem Jesus machen, sonst erhält mein Engagement keine Kraft. Das Evangelium muss für meine Person Sauerteig sein, dann werde ich auch geschmackvoll und frisch auf andere wirken.
3. Sprachfähigkeit: meinen Glauben reflektieren und meine Standpunkte formulieren können, die Studierenden sollen aber auch Argumente aus der Theologie für ihren Glauben kennen lernen, und lernen, ihre Standpunkte mit anderen Sichtweisen kritisch zu diskutieren
4. Caritas: Studierende sollen Kontakt zu sozial benachteiligten Mitmenschen in unserem konkreten Umfeld aufbauen (Besuchs- und Einkaufsdienst, Obdachlosenarbeit), dazu gehören Fragen der Umweltpolitik und der weltweiten Gerechtigkeit.
Das Ziel der Studentengemeinde ist es Persönlichkeiten auszubilden, die vom Geist des Evangeliums durchsäuert werden und selbst zum Sauerteig in ihren jeweiligen Lebensbereichen werden: kritisch, hoffnungsvoll, engagiert, eben wie Sauerteig: Geschmack gebend, antreibend und erfrischend.