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Gezielte atheistische Kaderpolitik

Zur Zurückdrängung des kirchlichen Einflusses an der TU Dresden und der Benachteiligung christlicher Studenten in der DDR

Joachim Klose

STUDENTENGEMEINDEN

Im Herbst 2009 feierte die Evangelische Studentengemeinde ihr 60-jähriges Bestehen. Die katholische Studentenseelsorge gibt es in Dresden seit 1925. Während beider deutscher Diktaturen waren Christen an der TU Dresden einem besonderen ideologischen Druck und Repressionen ausgesetzt. Ich war von 1980–1990 Mitglied der Studentengemeinden in Halle, Berlin und Dresden, leitete die Dresdner KSG 1988–1989 und berichte über Erfahrun- gen aus diesem Bereich. ESG und KSG sind Gemeinschaften junger Christen der Dresdner Hochschulen. Ein hauptamtlicher Pfarrer, demokratisch gewählte Sprecher und Fachkreisvertreter bilden den Pfarrgemeinderat, der von einem Vorsitzenden geleitet wird. Gemeinsam planen sie das Programm und bieten es an. Dies betrifft vor allem Akademische Gottesdienste, inhaltliche Vorträge und Diskussionen.

DIE RELIGIÖSE SITUATION AN DER TU DRESDEN

In einer vertraulichen Verschlusssache vom 6. Mai 1977 stellte die SED-Kreisleitung der TU fest, dass ihnen die Sprecher der Studentengemeinden unbekannt sind. Sie konstatieren: „Auch das Wissen über das Wirken in den Studentengemeinden ist gering … Die Funktionäre arbeiten in hohem Maße dezentralisiert … Sie schirmen sich unter Nutzung kircheneigener Objekte nach außen ab und entziehen sich einer möglichen Beobachtung.”

Der Autor stellte fest, dass es bisher nur in Ausnahmen gelang, christlich erzogene Studenten zur Abkehr vom Glauben zu bewegen. Seine wichtigste Schlussfolgerung: „Der Freizeitbereich der Studenten ist konsequent politisch zu beeinflussen und für die weltanschauliche Bildung zu nutzen. Noch stärker ist … der Einfluss, besonders der Studentengemeinden auf diesem Gebiet zurückzudrängen. Durch gezielte Kaderpolitik bei der Immatrikulation, Berufung und Besetzung von Funktionen wurden Konzentrationen verhindert und der Einfluss kirchlicher Kräfte weiter zurückgedrängt.”

Außerdem konnten „durch gezielt ideologische Arbeit Konfliktpunkte beseitigt werden”. Diese Konfliktpunkte betrafen vor allem die Auseinandersetzung bei Gewissensentscheidungen wie z. B. die Reserveoffiziersbereitschaftserklärung oder die Verteilung von Leistungsstipendien. Letztendlich fand die Immatrikulation nach einer dreifachen Selektion statt:

– die Zulassung zum Abitur, die vielen Christen verwehrt blieb, da sie nicht an der Jugendweihe teilnahmen

– die Zulassung zur Universität, die häufig durch die  mangelnde Wehrbereitschaft beschränkt war

– die Reserveoffiziersbereitschaftserklärung, an der nicht wenige Christen scheiterten.

1. DIE JAHRE VOR DEM BAU DER MAUER

Unmittelbar nach dem Krieg hat es keine Beeinträchtigung der Studentengemeinde durch staatliche Stellen gegeben. Benachteiligungen trafen nur vereinzelt Studenten. Eine Studentin wurde z. B. 1951 im Zug nach Berlin verhaftet und in der Zentrale der Stasi auf der Schießgasse verhört, weil sie Verbindung zu französischen Arbeiterpriestern aufgenommen hatte. Ein härteres Schicksal ereilte zwei Studenten 1952, die Kontakte zum Exilvorstand der ostdeutschen CDU in Westberlin aufgenommen hatten. Sie wurden zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt, von denen sie vier Jahre verbüßten, ehe sie in den Westen abgeschoben wurden. Der Wind drehte sich 1952/53 als DDR-weit eine Kampagne gegen die Jungen Gemeinden startete. In Dresden wurden auch die ESG und KSG dazugezählt. Die FDJ führte Semesterversammlungen an der Uni durch, um die Studentengemeinden zu diskreditieren. Mutige, die es wagten sie öffentlich zu verteidigten, wurden von der Uni verwiesen. Christen unterlagen fortan einer besonderen Aufmerksamkeit. Als z. B. 1956 Studenten der Fakultät für Chemie der Opfer des Ungarnaufstandes mit einer Schweigeminute gedachten, wurden vor allem Mitglieder der KSG exmatrikuliert, obwohl sie sich nicht stärker als andere hervortaten. Im WS 1957 folgte eine breit angelegte Aktion gegen die Sprecher der Studentengemeinden. Ihnen wurde im Anschluss an die zentrale Stipendienkonferenz das Grundstipendium gestrichen. Dem folgten Aussprachen, Hausverbot und Bewährung in der Produktion. Aufgrund des ideologischen Druckes verließen vor 1961 viele christliche Studenten die DDR. Ein Arzt formulierte einmal: „Hoffentlich können uns unsere Kinder verzeihen, dass wir geblieben sind.”

Wir wissen, dass unter denen, die gingen, ein sehr hoher Prozentsatz Christen gewesen sind.

2. NACH DEM MAUERBAU 1961

Der zunehmenden ideologischen Beeinflussung konnten sich die Studenten in den 1960er und 1970er Jahren nicht mehr entziehen. Da christlichen Gemeinden im marxistisch-leninistischen Weltbild kein Platz zukam, drängte die wachsende Ideologisierung die Studentengemeinden in eine Gegnerschaft. Gesellschaftliche Aktivitäten wurde immer mehr zum Kriterium für die Studienzulassung. Ziel der Hochschulausbildung war der sozialistische Absolvent. Neuberufungen von Professoren erfolgten deshalb fast nur noch bei SED-Mitgliedschaft, die eine Kirchenangehörigkeit ausschloss. Das zitierte SED-Papier stellte dazu fest:

„Der Einfluss kirchlich gebundener oder sich betätigender Hochschullehrer ist sehr stark zurückgedrängt worden. Durch gezielte Kaderpolitik gelang es, den Parteieinfluss bedeutend zu erweitern. Gegenwärtig sind 76,2% der Hochschullehrer Mitglied der SED. (…) Unter wissenschaftlichen Mitarbeitern werden vereinzelt kirchliche Einflüsse sichtbar. In Ausnahmefällen erfolgte wegen Nichterfüllung des Lehr- und Erziehungsauftrages die Übertragung anderer Aufgaben.”

Ein offenes Bekenntnis zum Christentum im Uni-Raum wurde auch für Studenten immer schwieriger. Es brauchte z. B. Mut, sich bei der militärischen Pflichtausbildung in Seelingstädt zum Sonntagsgebet zu versammeln. Zwei Studentinnen organisierten während der Zivilverteidigung einen improvisierten Gottesdienst. Die FDJ-Gruppen bezogen dazu eine klassenmäßige Haltung und distanzieren sich von diesen Studentinnen. Eine Studentin wurde daraufhin auf „eigenen Wunsch” vorzeitig exmatrikuliert. Gegen freie Religionsausübung, offene Systemkritik oder gar Forderungen nach freien Wahlen wurde mit aller Härte durchgegriffen. Die SED führte die Punkte auf, bei denen  sie gegen christliche Studenten im Jahr 1976/77 vorgegangen ist: – ein Literaturquiz wurde als „Systemkritik” im Sinne Biermanns bewertet – ein Studentenkollektiv wollte nicht geschlossen zur Wahl gehen – ein Student wurde exmatrikuliert, weil er nicht zur Wahl ging – eine finnische Studentin brach das Studium ab, weil sie dem weltanschaulichen Druck nicht standhielt – einzelne Studenten ließen sich exmatrikulieren, weil eine freie Religions- ausübung nicht möglich war

Bekennende Christen lernten, in „zwei Welten” zu leben. Einerseits mit Widerwillen in der des sozialistischen Realismus, andererseits in jener der Privatsphäre, des Freundeskreises und der Kirchen. Beide Welten versuchte man, in schizophrener Weise auseinander zu halten.

3. 1980er JAHRE

Anfang der 1980er Jahre hatte ich den Wehrdienst mit der Waffe verweigert und war einer der wenigen Studenten, die als Bausoldat studieren konnten. Ich wurde im November 1985 von der NVA entlassen und mit den Längerdienenden an der Sektion Physik immatrikuliert. Der Aufforderung, die Reserveoffiziersbereitschaftserklärung zu unterschreiben, kam ich nicht nach, da ich nicht vereidigt war. Der Sachverhalt schien bis dahin der Uni unbekannt gewesen zu sein. Da ich außerdem aus allen gesellschaftlichen Organisationen ausgetreten war, wurde ich während der ersten 14 Tage meines Studiums zu „Erziehungsgesprächen” geladen. Die Fachprofessoren, denen ich in späteren Prüfungen begegnete, sollten meine politische Einstellung prüfen. Schließlich wurde ein Disziplinarverfahren eröffnet, um die Exmatrikulation einzuleiten. Das Verfahren wurde beendet als ich zustimmte, wieder in die FDJ einzutreten. Der Sektionsdirektor bemerkte abwertend: „Sie können hier studieren, das ist alles.” Damit schien auch die weitere Perspektive festgelegt zu sein. Da Bausoldaten „Staatsfeinde” waren, polarisierte sich der Studienjahrgang: Parteigenossen mieden mich; Leute, die sympathisierten, solidarisierten sich mit mir. Jede mündliche Prüfung konnte den Exmatrikulationsgrund liefern. Von Beginn an spürte ich sowohl Gegenwind als auch Unterstützung. Nach der Aufspaltung des Studienjahrganges wurde systematisch versucht, den sich bildenden Freundeskreis zu zerschlagen. Dies gelang im Frühjahr 1986 durch „gezielten Einsatz” eines inoffiziellen Mitarbeiters der Staatssicherheit. In meiner Stasi-Akte ist zu lesen: „Es wurde durch den IMS Helm und den GMS Hasse Hinweise bekannt, … dass in der Sektion Physik eine politisch negative Gruppierung besteht. … Gleichzeitig wurde zu den Personen bekannt, dass sie versuchten, bei der FDJ-Wahl 1985 durch Manipulation eine „gefügige” FDJ-Leitung zu schaffen und fortschrittliche Studenten zu isolieren. Über einen IM in Schlüsselposition konnte erreicht werden, dass der JÜTTNER mit Wirkung vom 27. 5.1986 vorzeitig exmatrikuliert wurde. Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Objektdienststelle TU/H”

Das Exempel ist gelungen. Die Exmatrikulation sprach sich schnell herum und entpolitisierte die Gruppen. Mir wurde gleichzeitig eine Studienzurückstellung verwehrt, die ich aufgrund eines 15-wöchigen Krankheitsausfalls beantragt hatte. Durch die Belastung, den Stoff nachzuholen, war ich isoliert. Von Beginn meines Studiums an versuchte die Stasi, mir staatsfeindliche Tätigkeiten nachzuweisen. Man vermutete, dass in meiner Wohnung Treffen mit staatsfeindlichen Aktivitäten stattfinden. Während des Sportunterrichts wurden Abdrücke von meinen Schlüsseln gemacht. Anschließend ließ man meine Wohnung überwachen. Das gezielte Installieren inoffizieller Mitarbeiter der Stasi führte zur Observierung des gesamten Lebensumfelds. Sechs verschiedene Quellen vor allem aus der Studentenschaft und dem Lehrkörper fertigten Berichte an. Die Staatssicherheit attestierte mir eine negative Grundhaltung zur DDR und hob meinen schlechten Einfluss auf meine Seminargruppe hervor. Mit krimineller Energie plante sie, mich mit staatsfeindlichen Flugblättern, die ich hergestellt haben sollte, zu erpressen. Die OPK Atom wurde schließlich im Herbst 1988 eingestellt, als von dem Erpressungsversuch Abstand genommen wurde, es aber auch nicht gelang, mich als Informationsquelle zu gewinnen.

Das Hannah-Arendt-Institut stellte nach Aktenstudium fest:

„Zu keiner Zeit gelang dem MfS, (…) ein Eindringen in sogenannte „Kernkreise” der KSG Dresden. Ein legendierter Kontaktversuch zu dem seit Juni 1986 in der OPK „Atom” bearbeiteten späteren KSG-Gemeinderatsvorsitzenden scheiterte 1988 bereits nach dem ersten Gespräch (in dem sich der MfS-Mitarbeiter noch nicht als solcher vorzustellen wagte).”

Neben der OPK „Atom” ist nur noch die OPK „Akelei” (1988–1989) zu einer Studentin registriert, die sich in der „Dritten Weltarbeit” engagierte. Des Weiteren ist zur KSG nur ein Vorgang zur „Feind”-Bearbeitung bekannt: Drei Studenten waren zwischen 1983-85 im OV „Kreisel” erfasst, weil sie angeblich die „Schaffung einer unabhängigen Friedensbewegung” planten. Das MfS fand heraus, dass die Studenten Texte diskutierten und sich für die Verweigerung der ROA-Bereitschaftserklärung einsetzten. Die OV wurde eingestellt, als die Studenten das Studium beendet hatten bzw. eine Studentin von der Universität relegiert wurde. Ein SED-Genosse fragte mich einmal, warum ich viele Sachen nicht einfach mitmachen würde. Daraufhin fragte ich Ihn: „Warum schreiten Sie nicht ein, wenn Sie offensichtlich Benachteiligungen anderer wahrnehmen?”